Raphaela Keller, Vorsitzende der Kindergarten- und Hortpädagoginnen:

Illustration: Armin Karner

"Ich bin frustriert – weil auch in Krisenzeiten auf den elementaren Bildungsbereich vergessen wird! Die Lehrerinnen werden als Heldinnen gefeiert. Dabei sind die Elementarpädagoginnen viel gefährdeter. Ich als Vorsitzende der Kindergarten- und Hortpädagoginnen schätze, dass derzeit noch zehn bis 15 Prozent der Kinder betreut werden. Das wird nach Ablauf des Sonderurlaubs und der schrittweisen Lockerung für die Wirtschaft zunehmen. Da brauchen wieder mehr Kinder einen Platz.

Abstand halten geht in unserem Bereich so gut wie nicht. Die Kinder müssen gewickelt, oft gefüttert werden. Wie willst du das machen? Mit einem Teleskoplöffel? Derzeit haben wir höchstens sieben Kinder pro Gruppe, an manchen Standorten müssen die Eltern die Kinder bei der Tür abgeben. Masken? Da haben die Pädagoginnen sicher genug Geschick, die in den Alltag zu integrieren, ohne die Kinder zu verschrecken. Die gehören ja jetzt wohl zu unserem Leben, oder?

Was sich jetzt wieder zeigt: Es rächt sich, dass wir kein Bundesrahmengesetz haben. Je nach Dienstgeber haben die Kolleginnen ganz unterschiedliche Regelungen. Ich kenne zwei, die bei einer Gemeinde angestellt sind. Die eine muss jetzt von Amts wegen im Altersheim kochen. Die andere soll im öffentlichen Raum drauf schauen, dass der Abstand eingehalten wird. In manchen Bundesländern müssen die Pädagoginnen sogar Minusstunden ansammeln oder werden gekündigt. Einige Private stehen vor dem Aus. Da melden die Eltern die Kinder ab, weil sie ohnehin jetzt zu Hause sind. Nachher werden die Pädagoginnen wieder händeringend gesucht.

Für uns fühlt sich wieder niemand zuständig. Wäre es nicht sinnvoll, wenn die Elementarpädagoginnen zumindest zu jenen Kindern Kontakt halten können, die gerade das verpflichtende Kindergartenjahr absolvieren? Denn: Wir verlieren die Kinder nicht nur in der Schule! Wenn jetzt die Sozialarbeit aktiv werden soll, muss ich sagen: Die müssen auch mit Krippen, Kindergärten und Horten kooperieren. In der Theorie ist frühkindliche Bildung immer total wichtig. Jetzt ist davon keine Rede mehr.

Wenn einige Pädagoginnen den Eltern jetzt Basteltipps geben, damit ihnen daheim nicht die Ideen ausgehen, halte ich das nicht für deren Aufgabe."

Markus Pusnik, Schulleiter:

Illustration: Armin Karner

"Die Schule, die ich leite, ist eine Inklusive Offene Volksschule und eine Schule für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf. Es werden also auch Schülerinnen und Schüler mit mentalen Handicaps bei uns unterrichtet. Wir stehen vor der Herausforderung, wie wir diese Kinder gut über Distance Learning erreichen können. Denn wenn sie dazu grundlegend in der Lage wären, wären sie ja falsch hier, da müssten wir den Lehrplan sofort korrigieren!

Die Lehrenden lernen also gerade, Videos zu machen, um etwa die Eltern bei ihrer neuen Rolle als Lerncoaches zu unterstützen. Die Kolleginnen und Kollegen schicken auch eine tägliche Guten-Morgen-Botschaft an die Familien – auch um zu vermitteln: Wir sind für euch da! Oft geht es jetzt darum, gemeinsam mit den Eltern den Tagesablauf zu strukturieren und zu schauen, wo man überhaupt eine kleine Lernsequenz einbauen kann. Oder sie helfen dabei, wie aus der Wohnung der Familien eine Lernumgebung werden kann – etwa mit Bilderkärtchen, die im Raum verteilt werden. Wir probieren viel aus, es ist ein bisschen ein Revival aus der Ausbildungszeit. Ich bin stolz auf das Engagement der Kolleginnen und Kollegen. Wir sind derzeit wohl auch als Sozialarbeiter unterwegs. Das ist gleichzeitig das Positive: Vieles von dem, was jetzt passiert, ist für die Arbeit danach sicher von Vorteil.

Ich würde mir nur mehr Sichtbarkeit wünschen. Wir sind definitiv eine vergessene Gruppe des Bildungssystems. In der Eduthek des Bildungsministeriums ist zum Beispiel gar nichts zu finden, womit wir jetzt arbeiten könnten. Doch die Not macht erfinderisch: Wir entwickeln eigene Materialien oder teilen das Wissen um hilfreiche Tools. Das können sich Kolleginnen und Kollegen gerne auf unserer Schulhomepage ansehen. Es geht da etwa um Lernprogramme, bei denen mit Piktogrammen gearbeitet wird. Da fehlt uns die digitale Ausstattung, die es auch bisher leider nicht gab, jetzt ganz besonders."

Jennifer Uzodike, Bundesschulsprecherin:

Illustration: Armin Karner

"Es läuft sehr unterschiedlich ab. Es gibt Schulen, die den aktuellen Stundenplan einfach weiter schaffen. Bei mir an der berufsbildenden mittleren und höheren Schule bekommen wir Arbeitsaufträge, die wir bis zu einem bestimmten Datum abarbeiten sollen. Bei meinem 14-jährigen Bruder muss meine Mutter noch helfen. Es gibt Schülerinnen und Schüler, bei denen gar nichts funktioniert, wie ich als Bundesschulsprecherin weiß. Man erreicht sie nicht, oder es müssen sich drei Kinder einen Computer teilen, falls es überhaupt einen gibt. Dass jetzt Geräte zur Verfügung gestellt werden sollen, ist gut. Wobei noch offen ist, wie das geschehen wird. Immerhin ist der Wille jetzt einmal da – selbst wenn es schon ein bisserl spät ist. Entscheidend ist auch, wie man all jene Schülerinnen und Schüler erreicht, bei denen der Kontakt zur Schule völlig abgerissen ist.

Ich stehe ja gerade vor der Matura. Ich weiß schon, dass derzeit die Situation schwierig ist. Dennoch würde ich mir – so wie viele andere Betroffene auch – mehr Klarheit erwarten: Wann ist die Matura? Wie wird sie ablaufen, damit unsere Gesundheit nicht gefährdet wird? Und gibt es überhaupt eine? Ich würde gerne eine Matura schreiben. Sicher gibt es auch Leute, die über eine Absage ganz froh wären. Das kann ich schon auch gut verstehen, weil viele in der derzeitigen Situation sicher überfordert sind. Und die Vorbereitung auf die Matura ist natürlich eine ganz andere als im Regelbetrieb. Da herrschen schon andere Bedingungen.

Wann die Schulen wieder öffnen, kann ich nicht sagen, ich bin ja keine Virologin. Vom Gefühl her glaube ich, dass es nicht mehr vor dem Sommer ist. Aber wie gesagt: Das ist nur meine ganz persönliche Einschätzung. Was sich jetzt schon abzeichnet, ist, dass nicht alle Lerninhalte in dem Semester untergebracht werden können. Das wird sich einfach nicht ausgehen. Irgendwie muss es daher die Möglichkeit geben, den Lehrstoff, den man zwangsläufig nicht lernen konnte, nachzuholen. Das sollte zum Beispiel während des nächsten Schuljahres möglich sein, vielleicht auch im Sommer. Da allerdings nur auf freiwilliger Basis. Denn eines darf nicht passieren: Dass man die Schülerinnen und Schüler zwingt, im Sommer in die Schule zu gehen."

Thomas Bulant, Lehrergewerkschafter:

Illustration: Armin Karner

"Ich komme gerade aus einer Online-Fortbildungssitzung mit meinen rund 50 Kolleginnen und Kollegen einer Neuen Mittelschule in Favoriten. Neben meiner Funktion als roter Lehrergewerkschafter unterrichte ich nämlich auch. An meiner Schule werden wir nach Ostern eine App für Distance-Learning verwenden – die Kinder brauchen dafür nur ihr Handy. Keinen Computer, keinen Drucker. Ich als Mathematiklehrer lade meine Dateien, meine Videos hoch, die Kinder können die Aufgaben am Papier bearbeiten und laden mir danach ein Foto davon hoch. Es ist toll: Wir können da auch die Eltern einbinden. Die Lehrenden und Schüler bekommen mittels einer roten Glocke angezeigt, wenn wieder jemand etwas Neues geschickt hat. Wir ersparen uns die Mailflut. Die Schüler können die Chats einsehen, damit muss ich dann hoffentlich nicht mehr zehnmal die gleiche Frage beantworten.

Was vielen helfen könnte: Bei dem Programm wird die Zeit runtergezählt, die bis zum Abgabetermin bleibt. Daran muss ich jetzt also nicht mehr x-mal erinnern. Die wichtige Beziehungsarbeit kann trotzdem nicht aufgefangen werden. Das fehlt den Kindern. Aber auch vielen Lehrerinnen und Lehrern.

Meine Frau ist auch Lehrerin. Wir lächeln uns jetzt immer an, wenn wir online wieder etwas Neues gelernt haben. Wenn mir vor ein paar Wochen jemand gesagt hätte, dass ich plötzlich zu Zoom-Konferenzen einladen kann! Das ist etwas Schönes: Es gibt eine große Solidarität unter den Kolleginnen und Kollegen. Die Jungen unterstützen die Älteren. Das ist eine tolle Erfahrung! Dabei ist die Arbeitsbelastung schon enorm. Gerade die pubertierenden Jugendlichen fangen jetzt oft nicht vor zehn Uhr an zu arbeiten. Das heißt: Wir Lehrer korrigieren am Vormittag und stecken bis spät nachmittags in Chats mit den Schülerinnen und Schülern. "Handtaschllehrer", die Dienst nach Vorschrift machen, haben es jetzt schwer. Aber die gibt es ohnehin kaum.

Viele Arbeitnehmer, darunter auch Lehrerinnen, stellen ihr privates Equipment nun für das Homeoffice zur Verfügung. Ohne diese Solidarität würde vieles nicht möglich sein. Das sagt sogar unser Bundespräsident."

Elisabeth Rosenberger, Elternvertreterin:

Illustration: Armin Karner

"Die Lehrkräfte sind sehr bemüht, aber es ist nun mal eine Ausnahmesituation, mit der wir erst umgehen lernen. Bei den einen geht das schneller, andere brauchen ein bisschen. Es gibt Lehrerinnen und Lehrer, die machen einen tollen Job. Aber es gibt auch die, die ihren Klassen ein Lernpaket schicken, und das war es dann. Andere vergessen, ein Rückmeldedatum zu nennen, und Eltern wie Kinder hängen in der Luft. Ich bekomme viele Rückmeldungen, kein Wunder, ich vertrete in meiner Funktion als Präsidentin des Bundeselternverbands ja auch rund 650.000 Erziehungsberechtigte.

Das mit dem E-Learning ist auch so eine Sache. Bei manchen Schulen funktioniert das perfekt. So gibt es etwa in Vorarlberg eine, da findet virtuell fast ein ganz normaler Unterricht statt. Aber dabei gibt es natürlich viele Hürden, etwa wenn man zu Hause viele Seiten ausdrucken soll oder etwas einzuscannen hat. Bitte, wer besitzt einen Scanner? Oder: Bei vielen Familien gibt es einen Computer. Machen die Eltern Homeoffice, ist der belegt. Mir wurde auch der Fall einer Flüchtlingsfamilie zugetragen. Da besitzt der Vater ein Wertkartenhandy, und aus! Insofern halte ich auch die Initiative des Bildungsministeriums, Familien Computer zur Verfügung stellen zu wollen, für wichtig.

Bei uns läuft noch bis Mittwoch eine Umfrage, an der bisher schon rund 7600 Eltern teilgenommen haben. Der Tenor soweit: Auf die Frage, ob die Lehrperson rasch reagiert hat, antworten sehr viele mit Ja. Wenig Zustimmung gibt es bei: Wie war der Kontakt in den vergangenen zwei Wochen? Ganz wichtig ist der Wunsch, dass die Schule sich auf wenige Kommunikationswege einigt. Die Kinder müssen die Aufgaben ständig auf bis zu sechs verschiedenen Plattformen – von Whatsapp bis Mail – suchen.

Natürlich hoffe ich darauf, dass die Schulen bald wieder aufsperren. Je länger das dauert, umso schwieriger werden ja auch die Situationen. Die Kinder motzen auch schon, wann sie endlich wieder ihre Freunde sehen können.

Bleiben wird hoffentlich die hohe Achtung vor dem Lehrberuf. Bei der Digitalisierung wird sich viel tun, und vielleicht wird sich der Handygebrauch bei den Kindern und Jugendlichen ändern. Dass der reale Kontakt doch etwas anderes ist – obwohl: Okay, da bin ich nicht so hoffnungsvoll." (Peter Mayr, Karin Riss, 6.4.2020)