Nico Rosberg hat den Formel-1-Helm gegen Alltagsgewand getauscht. Dem Fernsehen blieb er als F1-Experte und neuerdings auch Jurymitglied in der Gründershow "Die Höhle des Löwen" treu.

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Dies ist die gekürzte Zeitungsfassung des Interviews. Alternativ gibt es hier die Langfassung – etwa doppelt so lang und, anders als sonst im Journalismus üblich, kaum editiert.

Nico Rosberg ist der einzige Formel-1-Fahrer, der Lewis Hamilton in den letzten sechs Jahren bezwungen hat. Sein Weltmeistertitel 2016 war ein Meisterwerk der kleinen Unterschiede, fünf Tage nach dem entscheidenden Rennen erklärte Rosberg seinen Rücktritt. Nun ist er als Investor in der Nachhaltigkeitsbranche aktiv. Für das STANDARD-Interview ging der 34-jährige Deutsche in den Keller: "Das ist der Platz, wo meine Kiddies mich nicht erreichen können, wenn ich ungestört etwas machen muss."

STANDARD: Unvermeidlich: Wie betrifft Sie Corona persönlich?

Rosberg: Wir sind in Spanien im Lockdown zu Hause, aber ich kann mich überhaupt nicht beschweren. Wir haben einen Garten, uns geht es richtig gut. Da geht es anderen ganz anders, das ist mir schon klar.

STANDARD: Gibt es etwas aus Ihrer Rennfahrerkarriere, das jetzt hilft?

Rosberg: Sehr viel. Zum Beispiel habe ich Meditation wiederentdeckt. Die hatte einen Riesenanteil an meinem WM-Titel, dann habe ich aufgehört, weil mir die Motivation fehlte. Jetzt habe ich wieder die Disziplin. Als Rennfahrer war ich immer extrem strukturiert, so sind unsere Tage jetzt auch: Heute habe ich um 8.30 Uhr eine Stunde mit meiner Tochter die Schulaufgaben gemacht, davor hatte ich schon meditiert und eine Stunde Sport gemacht.

STANDARD: Spricht man über Themen wie Mentaltraining mit anderen Fahrern?

Rosberg: Nein, Psychologie ist bei uns ein Tabuthema. Es ist ein Machosport, jeder, der sich psychologisch interessiert und Hilfe in Anspruch nimmt, ist tendenziell erst einmal ein Loser.

STANDARD: Sie haben auch erst relativ spät darüber gesprochen.

Rosberg: Erst nach der Karriere – aus diesem Grund.

STANDARD: Spielt da nicht auch mit, dass man seinen Wettbewerbsvorteil nicht verlieren will?

Rosberg: Auch, natürlich. Meine ganzen Wettbewerbsvorteile lagen in diesen Bereichen, dass ich versucht habe, jedes Detail umzukrempeln. Mit dem Mentaltraining, das kein anderer Fahrer gemacht hat, habe ich sicher ein paar Prozent rausgeholt. Oder den Lack von meinem Helm wegzunehmen, weil das noch einmal 80 Gramm sind – das hat auch kein anderer Fahrer gemacht.

Wödmasta.
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STANDARD: Was, wenn es mit dem WM-Titel nicht geklappt hätte?

Rosberg: Das hätte das Potenzial gehabt, mich mental für den Rest meines Lebens ein bisschen zu vernarben. Weil es so groß ist, der Traum ist so stark, es machen so viele Menschen mit, es hat so eine Power. Deswegen war es dann umso schöner. Auf dem absoluten Zenit in ein neues Leben rauszugehen, ist so eine tragende Welle der Positivität, vielleicht für den Rest meines Lebens.

STANDARD: Kann man als Spitzensportler auch nur im Ansatz authentisch sein?

Rosberg: Bestes Beispiel: In Abu Dhabi (das entscheidende Rennen um den WM-Titel 2016, Anm.) habe ich auf dem Grid ein Interview gegeben, wo mich RTL fragte: "Freust du dich auf dein letztes Rennen?" In mir war die nackte Angst zu verlieren – und dann sage ich im Interview: "Ja, ja, ich freu mich." Man muss als Sportler schauen, sich ein bisschen zu schützen.

STANDARD: Hilft einem das ganze Mentaltraining in so einem Moment, wenn fast das ganze Leben auf dieses Rennen hinausläuft?

Rosberg: So weit habe ich es nicht geschafft, dass ich Meditation auch beim Fahren hinbekommen hätte – aber ich habe im entscheidenden Moment keinen Fehler gemacht. Das liegt mit Sicherheit auch sehr stark an der ganzen Vorbereitung. An dem Morgen habe ich eine Stunde meditiert, vor dem Rennen habe ich den Fokus behalten. Aber im Moment selbst war Adrenalin pur. Als ich Verstappen im Rennen überholt habe, hat mein Fuß auf dem Gaspedal danach so gezittert – das hatte ich noch nie erlebt. Ich habe Angst gehabt, nicht mehr richtig Gas geben zu können und dadurch das Rennen zu verlieren.

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STANDARD: Kann sich ein Mensch, der nicht Rennen fährt, in einen Formel-1-Fahrer überhaupt hineinversetzen? Ist das vergleichbar damit, wenn man im Alltag einen hohen Adrenalinspiegel hat?

Rosberg: Das Gefühl am Start kann man damit vergleichen, wenn in zehn Minuten dein erstes Kind geboren wird und du im Kreißsaal bist. Es ist intensiv wie Sau, und du weißt nicht, was passiert. Auch die Euphorie, wenn du gewinnst, ist ein bisschen vergleichbar damit, wenn du dein Kind das erste Mal im Arm hältst. Natürlich hat das Private da noch mehr Power, aber so kann man die Dimensionen der Intensität vielleicht nachvollziehen.

STANDARD: Nutzt einen das nicht wahnsinnig ab, wenn man alle zwei Wochen sein erstes Kind kriegt?

Rosberg: Das ist ja gerade die Intensität bei diesem Sport, dass man jede zweite Woche bei zweihundert Prozent ist. Dafür ist es zwischendurch wirklich entspannt im Vergleich zu jemandem, der einen normalen Job hat. Aber klar, es ist energieaufreibend. Irgendwann sehnt man sich danach, einen Tag zu starten, der komplett Freestyle ist und nicht wieder nur in die Richtung geht, das nächste Rennen zu gewinnen.

STANDARD: Wie ist der erste Tag nach dem Titel? Kommt dann dieses Gefühl?

Rosberg: Der erste Tag war schlecht, weil wir bis acht Uhr gefeiert hatten.

STANDARD: Viele Sportler scheffeln Millionen und legen dann die Füße hoch. Sie haben recht rasch wieder Tempo gemacht. Warum?

Rosberg: Ich brauche Herausforderungen, so bin ich, und so war ich schon immer. Jetzt habe ich das nicht mehr im Sport, also versuche ich es in der Businesswelt. In dieser habe ich für mich als meinen Weg entschieden, Business mit dem guten Zweck zu vereinen – in jeder Sache, die ich angehe. Das macht mir sehr viel Freude, da finde ich enorme Motivation, etwas zu bewegen.

STANDARD: Gab es da ein Brainstorming: Was mache ich jetzt mit meinem Leben?

Rosberg: Ja, klar, ich hatte ja null Plan. Aus meiner Formel-1-Zeit wusste ich, weil ich da sehr viel Psychologie und Philosophie studiert habe: Die beste Form von Leben ist, wenn man einen großen Bestandteil seiner Zeit etwas Gutes für andere tut. Das gibt Erfülltheit und Zufriedenheit. Deswegen habe ich gesucht: Wo kann ich Business und den guten Zweck vereinen? Dadurch ist dann zum Beispiel das Greentech Festival entstanden, das in Deutschland und vielleicht in Europa das führende Event für nachhaltige Technologien und grünen Lifestyle ist.

STANDARD: Wenn wir schon bei Nachhaltigkeit sind: Gibt es – auch für unsere Leser – eine Technologie, auf die die Menschen mehr Aufmerksamkeit lenken sollten?

Rosberg: Viele. Letztens habe ich eine Firma gesehen, die sind weltweit führend darin, CO2 aus der Atmosphäre rauszunehmen und damit Sprit zu kreieren. Sonst etwas vom Alltäglichen: Heute Mittag gibt es vegane Hamburger. Da bin ich Riesenfan, aus zweierlei Gründen: Gesundheitlich ist es gut, nicht jeden Tag Fleisch zu essen. Und für die Umwelt wäre es riesig, wenn wir unseren Fleischkonsum reduzieren würden.

STANDARD: Haben Sie außerhalb des Unternehmertums ein Thema, das Sie sehr beschäftigt?

Rosberg: Meine Kinder, meine Familie. Ich möchte es schaffen, sie zu inspirieren, auch Gutes zu tun und als Mensch wachsen zu wollen. Und ich möchte ihnen helfen, ihre Leidenschaften zu entdecken.

STANDARD: Hat jeder Mensch eine Leidenschaft?

Rosberg: Das ist auch eine große Frage für mich. Das ist echt nicht einfach. Ich bin einer, der sich da immer wandelt. Wenn Leute ihr ganzes Leben für eine Sache leben, respektiere ich das sehr. Weil ich nicht so bin. Ich springe von einer Sache zur nächsten. Das finde ich irgendwie schade, dass ich noch nicht so meine Lebenspassion gefunden habe. Ich möchte meinen Kindern ermöglichen, dass sie die schon im frühen Alter finden. Ein Hobby, das auch nicht unbedingt zum Beruf wird.

STANDARD: Sie haben Ihres also noch nicht gefunden?

Rosberg: Ich bin auf der Suche.

STANDARD: Wie sucht man so etwas?

Rosberg: Probieren. Lesen, lernen, ausprobieren, sich in Situationen reinwerfen, die ungemütlich sind, weil da lernt man und da steigert man sich. Zum Beispiel hatte ich eigentlich nächste Woche einen Krankenhausbesuch geplant in einer Krebsklinik bei Kindern – auch das ist probieren, den Weg zu finden. (Martin Schauhuber, 6.4.2020)