Waschbären werden eher geduldet, weil sie attraktiver erscheinen wie beispielsweise die Marmorierte Baumwanze (Halyomorpha halys).
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Wien – Der Waschbär (Procyon lotor) hat rund um die Mitte des 20. Jahrhunderts den Sprung von Nordamerika in die europäische Wildnis geschafft. Seit den 1970er-Jahren ist er auch in Österreich in wachsender Zahl zu finden. Obwohl der mittelgroße Säuger für die heimische Tierwelt eine Gefahr darstellt, mag sich manch einer an dem maskierten intelligenten Einwanderer nicht allzu sehr stoßen – immerhin sieht er recht possierlich aus und erscheint daher willkommener als etwa der Obama-Wurm oder die Riesenzecke Hyalomma marginatum.

Ähnlich ist es auch um die Haltung gegenüber dem Grauhörnchen (Sciurus carolinensis) bestellt, ebenfalls einem Invasoren aus Nordamerika, der das einheimische Eurasische Eichhörnchen (Sciurus vulgaris) vielerorts schon verdrängt hat. Diese subjektiv wahrgenommene Attraktivität von Waschbär, Grauhörnchen und Co. hat tatsächlich Einfluss auf die Einschleppung und ihr Image und kann sogar ihre Eindämmung behindern, wie nun Forscher im Fachblatt "Frontiers in Ecology and the Environment" nachweisen konnten.

Dunkelziffer geht in die Tausende

Die EU hat im Vorjahr eine Liste mit 66 invasiven gebietsfremden Tier- und Pflanzenarten veröffentlicht, die mit ihrer Ausbreitung Lebensräume, Arten oder Ökosysteme beeinträchtigen und daher der biologischen Vielfalt schaden können. Tatsächlich ist das nur ein Bruchteil der von Menschen aus ihrem ursprünglichen Verbreitungsgebiet verschleppten Tiere und Pflanzen, Schätzungen zufolge geht die Zahl der Bioinvasoren in die Tausende.

Das Grauhörnchen macht dem einheimischen roten Eichhörnchen zunehmend Konkurrenz.
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Die meisten davon können sich nicht an die neuen Lebensbedingungen anpassen, manche aber etablieren sich und werden für heimische Arten als Räuber, Konkurrent um Nahrung und Lebensraum oder Überträger von Krankheiten zum Problem. "Je häufiger die Einschleppungen und je größer die Zahl der jeweils eingeführten Individuen, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Art etabliert", erklärte Franz Essl vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Universität Wien, der gemeinsam mit Kollegen von der Tschechischen Akademie der Wissenschaften und des deutschen Leibniz-Instituts für Gewässerökologie und Binnenfischerei die Studie durchgeführt hat.

Attraktiver Zuzug

Speziell charismatische Arten werden dabei als Zierpflanze, Aquarienbewohner oder exotisches Haustier häufiger bewusst eingeschleppt als unscheinbare Spezies. Die Wissenschafter haben dabei den Begriff "Charisma" an Eigenschaften von Arten festgemacht, "die ihre 'Attraktivität' bzw. ihre 'ästhetische Wahrnehmung' durch den Menschen positiv beeinflussen", so Essl .

Das Problem dabei ist, dass die gesellschaftliche Akzeptanz von attraktiven gebietsfremden Arten höher ist als von unattraktiven Bioinvasoren. Das kann zu Problemen von Naturschutzmaßnahmen führen, die die Ausbreitung einer Art eindämmen sollen. Als Beispiel nennen die Wissenschafter das ursprünglich aus Nordamerika stammende Grauhörnchen, das nach Europa eingeschleppt wurde und hier das einheimische Eurasische Eichhörnchen zunehmend verdrängt.

Öffentliche Proteste gegen Bekämpfung

Die Krux ist, dass beide als charismatische Arten wahrgenommen werden. "Dies hat dazu geführt, dass die Bekämpfung des Grauhörnchens in einer frühen Phase der Einschleppung in Norditalien als Folge öffentlicher Proteste unterbunden wurde, so dass als Folge dieser Entscheidung nun längerfristig mit einer starken Ausbreitung und einer Verdrängung der Eichhörnchens zu rechnen ist", so Essl. Das Charisma der eingeschleppten Art habe somit starke Auswirkungen auf die gesetzten Maßnahmen, und damit auch gravierende Folgen für die verdrängte Art.

Bei Pflanzen nennt Essl Eigenschaften wie große attraktive Blüten, lange Blühdauer oder wohlriechenden Blütenduft, die geschätzt werden und die zum Charisma einer Art beitragen. Viele eingeführte Gartenpflanzen seien nach diesen Gesichtspunkten ausgewählt worden und hätte sich in vielen Fällen dann ausgebreitet. Als Beispiel nennt er bei uns invasive Pflanzen wie den Riesen-Bärenklau oder die Kanadische Goldrute.

Unterschiedliche ethische Perspektiven

Jedenfalls könne es das Management von gebietsfremden Arten erheblich erschweren, wenn aufgrund eines schönen oder niedlichen Äußeres einer invasiven Art die öffentliche Unterstützung für Maßnahmen fehlt, betonen die Forscher. Es können dabei auch Konflikte aus der "offensichtlichen Unvereinbarkeit zweier unterschiedlicher ethischer Perspektiven entstehen: zwischen denen, die dem Schutz des Ökosystems oder der Erhaltung der heimischen Arten Priorität einräumen, und denjenigen, die sich um das Wohlergehen der betreffenden gebietsfremden Art sorgen", so Essls Kollege Bernd Lenzner. (red, APA, 6.4.2020)