Ende 2010 erschien in der Financial Times ein Brief, der gezeichnet war von Jean-Claude Juncker, dem damaligen Vorsitzenden der Eurogruppe und späteren EU-Kommissionspräsidenten, und Giulio Tremonti, damals italienischer Finanzminister. Die Forderung: Eurobonds als Instrument in der Eurokrise.

Zehn Jahre später ist die Debatte über Gemeinschaftsanleihen neu entflammt. Es geht um europäische Liquidität im Kampf gegen die Corona-Krise. Am Dienstag tagt der Euro-Gipfel. Erwartet wird ein Kompromiss ohne Gemeinschaftsanleihe (siehe Wissenskasten unten), allerdings beharren Italien, Frankreich und Spanien weiter auf der Einführung einer gemeinsamen Anleihe.

Ist die Zeit reif für Eurobonds? Die Corona-Krise unterscheidet sich von der Eurokrise, erklärt Tremonti dem ...

STANDARD: Sie haben vor zehn Jahren die Einführung von gemeinsamen Anleihen gefordert. Nun könnten sie kommen.

Tremonti: Die Idee des Juncker-Tremonti-Plans war, Schulden, die wir ohnehin machen durften, mit weniger Risiko und Spekulation aufzunehmen. Heute geht es darum, mehr Schulden zu machen.

STANDARD: Braucht es dafür keine Eurobonds?

Tremonti: Die Situation heute ist eine andere als damals. Zwar war es aus meiner Sicht nicht richtig, acht Jahre lang Geld zu drucken und die Zinsen niedrig zu halten. Aber dass die Europäische Zentralbank Anleihen der Euroländer kauft, ist heute die richtige Antwort auf die Corona-Krise. Zuerst hieß es vonseiten der Zentralbank, es gäbe keine Limits. Dann hieß es, man würde eine Billion Euro in Staatsanleihen investieren. Man weiß noch nicht, über welchen Zeitraum. Und nicht, nach welchen Kriterien. Aber die EZB scheint zur Stelle.

Giulio Tremonti war viermal italienischer Finanz- und Wirtschaftsminister.
Foto: imago

STANDARD: Reicht das?

Tremonti: Alternativen werden ja gerade geprüft: Garantien, Mittel des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), Corona-Bonds. Man muss sehen, wie diese Lösungen technisch genau aussehen. Für all diese Instrumente gilt: Besser man hat sie zur Verfügung, als man hat sie nicht. Aber letztens geht es beim Volumen um marginale Ziffern im Vergleich zu den Mitteln der EZB.

STANDARD: Warum fordert die italienische Regierung dann Corona-Bonds?

Tremonti: Zuerst war die Regierung für eine Anpassung des ESM, jetzt wollen sie Corona-Bonds. Gut möglich, dass sie in irgendeiner Form kommen. Aber wir müssen realistisch bleiben, die Summen sind nicht entscheidend. Außerdem sind Mittel aus dem europäischen Haushalt zweckgebunden. Dass Brüssel Ländern Geld für bestimmte Zwecke leiht, ist nichts Neues. 2009 habe ich beispielsweise europäische – also auch italienische – Gelder mit dem Okay aus Brüssel für Kurzarbeit verwendet. Die Euroländer werden sich auf einen Kompromiss einigen, der in diese Richtung geht – vermutlich bereits bestehende Instrumente in Einklang mit dem europäischen Regelwerk.

Bild nicht mehr verfügbar.

Giulio Tremonti forderte in der Staatsschuldenkrise bereits Eurobonds. Allerdings nicht zum Schuldenmachen.
Foto: Reuters

STANDARD: Die Europäische Kommission will 100 Milliarden Euro für Kurzarbeit bereitstellen?

Tremonti: 100 geteilt durch 27 ist nicht viel. Dass Europa Geld zur Verfügung stellt, ist richtig. Es entspricht den europäischen Grundsätzen. Aber noch einmal: 100 Milliarden sind nicht viel, es ist ein Zeichen guten Willens.

STANDARD: Wenn Länder wie Italien neue Schulden aufnehmen, sinkt die Wettbewerbsfähigkeit dieser Länder. Die Schulden müssen wieder abgebaut werden.

Tremonti: Bei den Schulden muss die Eurozone Augenmaß bewahren. 2003 haben die EU-Kommission und die EZB Sanktionen gegen Deutschland gefordert. Ich habe Deutschland damals verteidigt. Denn die Geschichte zeigt erstens: Sanktionen gegen Deutschland bringen Unglück. Zweitens waren die rechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben. Drittens hätte sich Deutschland gegen Europa gewandt. Es gab keine Sanktionen, Deutschland hat Reformen umgesetzt, und die deutsche Wirtschaft hat sich sehr gut erholt. Auf Sanktionen zu verzichten war die richtige Entscheidung für Europa. Daran sollten wir uns erinnern – und wieder die richtige Entscheidung für Europa treffen. (Aloysius Widmann, 7.4.2020)