Im Gastkommentar erinnert der Philosoph Felix Pinkert an die sozialen Bedürfnisse der Einpersonenhaushalte.

Wenn Österreich-Forscher im 24. Jahrhundert die Pressekonferenz des Bundeskanzlers vom Montag ausgraben, was für ein Bild des Lebens der alten Österreicher zeichnet sich da? Es gab eine Pandemie, gegen die entschlossen vorgegangen wurde, und alle haben zusammengehalten. Da zeigt der archäologisch aufbereitete STANDARD-Livebericht, dass Kanzler Sebastian Kurz sagt, "wir kommen nicht in die Nähe der Eltern", und das Osterfest sollen alle bitte nur feiern mit den Menschen, mit denen man zusammenlebt. Als Belohnung darf man nach Ostern wieder in den scheinbar wichtigsten öffentlichen Ort nach der Lebensmittelversorgung: den sogenannten Bau- und Gartenmarkt. Forscher streiten noch darüber, warum gerade diese Orte so zentral im Leben der alten Österreicher des frühen 21. Jahrhunderts sind. Klar aber ist, dass die alten Österreicher in kleinen Gruppen zusammenwohnen, vor allem in Familien.

Grundrecht auf sozialen Kontakt

Die Kernfamilie im Einfamilienhaus, netterweise haben die Grünen daran erinnert, dass es auch WGs gibt – das Bild, das die türkis-grünen Regeln und Regelerläuterungen zum Lockdown in den vergangenen Wochen zeichnen, muss sich für etwa 1,2 Millionen Menschen in Österreich sehr fremd anfühlen. Das sind die Menschen, die in Einpersonenhaushalten leben und die in den Augen der Regierung scheinbar nicht existieren.

"Wir fahren nicht zu den Eltern" – ach, wie schön für Sie, Herr Kurz, dass Sie noch als "wir" unterwegs sind. "Ostern nur mit den Menschen feiern, mit denen man zusammenlebt" – wie schön: Da sind überhaupt mal Menschen!

Was bedeutet die vierte Woche der Ausgangsbeschränkungen für diese Einpersonenhaushalte? Für Menschen, die allein leben, ist die Wohnung oft nicht identisch mit dem Zuhause. Sie ist eine häuslich und individuell eingerichtete Zelle – daran ändern Onlinetreffen nur bedingt etwas. Denn Zuhause, das sind immer auch die Menschen, die uns am nähesten stehen. Soziale Kontakte sind kein Luxus, sie sind ein Grundbedürfnis. Längere soziale Isolation ist nicht nur unangenehm und schwer, wie Kurz es immer wieder betont, sie schlägt sich auch auf die Gesundheit nieder. Das Risiko, an einer Depression zu erkranken, steigt, und die Suizidgefahr nimmt zu. Soziale Isolation ist also existenzbedrohend. Deswegen fordert die Philosophin Kimberley Brownlee von der Universität Warwick, dass es ein Grundrecht auf sozialen Kontakt geben muss.

Exklusive Lockdown-Familien

Zur Eindämmung des Coronavirus brauchen wir eine Reduktion sozialer Kontakte. Diese Kontakte sind also plötzlich ein gesellschaftlich verwaltetes, knappes Gut, das wir rationieren müssen. Hier gilt es aber, diese so zu rationieren, dass nicht 1,2 Millionen Menschen wochenlang auf null kommen. Die Ausgangsbeschränkungen sind daher unbedingt zu präzisieren hinsichtlich der Einpersonenhaushalte. Hier ein paar Vorschläge:

Paare, die nicht zusammen wohnen, dürfen einander besuchen und öffentlich ausgehen wie andere Familien auch. Alle anderen Alleinlebenden dürfen mit einer (oder zwei oder drei) weiteren Personen, die nicht zur Risikogruppe gehören, eine exklusive Lockdown-Familie gründen, die genauso behandelt wird wie zusammenlebende Familien. Dabei müssen sie natürlich nicht extra zusammenziehen.

Osterhasen mit Mund-Nasen-Schutz, gesehen im burgenländischen Deutschkreutz.
Foto: APA / Robert Jäger

Auch ein Anschluss an einen Mehrpersonenhaushalt soll möglich sein – hier kann die allein lebende Person auch bei der Kinderbetreuung helfen. Wenn die exklusive Zugehörigkeit zu einer solchen Lockdown-Familie unbedingt nachgewiesen werden soll, dann kann das zum Beispiel durch ein Selbstverpflichtungsformular geschehen, welches von der Polizei eingesehen und registriert werden kann. Alle Menschen dürfen sich in kleinen Gruppen im öffentlichen Raum – bei gebotenem Sicherheitsabstand – auch länger sozial miteinander aufhalten.

Dies sind freilich die Vorschläge eines Philosophen, der sich auch mit sozialen Bedürfnissen beschäftigt, nicht die eines Epidemiologen. Sie sollen aber zeigen, dass ein relativ striktes Kontaktverbot nicht, wie bisher gehandhabt, automatisch die soziale Grundversorgung von Alleinlebenden aufgeben muss. Was es braucht, ist, dass die 1,2 Millionen Menschen in Einpersonenhaushalten in Österreich endlich von den Entscheidungsträgern wahrgenommen und angesprochen werden. Wenn für diese Menschen die soziale Grundversorgung sichergestellt ist, dann können wir gerne auch über die Baumärkte reden. (Felix Pinkert, 6.4.2020)