Die Polizei bewachte am Montag Nachmittag das St. Thomas Krankenhaus in London.

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London – Großbritannien muss um seinen Premierminister bangen. Am Montagabend wurde der mit Sars-CoV-2 infizierte Boris Johnson auf die Intensivstation eines Londoner Krankenhauses verlegt, nachdem sich sein Zustand verschlechtert hatte. Die Regierungsgeschäfte sind vorübergehend auf Außenminister Dominic Raab übergegangen. Der 55-jährige Johnson war vor zehn Tagen positiv auf das Coronavirus getestet worden und leidet seither an Fieber und hartnäckigem Husten.

Johnson war am Sonntagabend von seinem Fahrdienst in die St.-Thomas-Klinik gebracht worden, die direkt gegenüber dem Palast von Westminster an der Themse liegt. Er habe eine angenehme Nacht verbracht, sagte sein Sprecher am Montagvormittag mit, und durchlaufe im Spital eine Reihe von Routineuntersuchungen. Details mochte der Sprecher nicht mitteilen. Der Auskunft von Ärzten zufolge, die seit Wochen Covid-19-Patienten behandeln, dürfte dazu mindestens ein Röntgenbild der Lungen, womöglich auch ein CT gehören. Außerdem werde routinemäßig ein detailliertes Blutbild erstellt, um etwaige Zweitprobleme zu erkennen.

Das offizielle – sehr knappe – Statement von Johnsons Sprecherteam, das BBC-Politikjournalist Iain Watson via Twitter teilte.

Die Verlegung auf die Intensivstation deutet auf Sauerstoffmangel hin. Allerdings hieß es am Abend, Johnson werde vorläufig nur beobachtet und sei noch nicht an ein Beatmungsgerät angeschlossen worden. In London zirkulierte am Montag ein der "Financial Times" zugespieltes Memorandum über die Behandlung von Covid-19-Patienten. Es wurde von Professor Daniel Martin, der am Royal Free Hospital für die Intensivbehandlung von Infektionserkrankten zuständig ist, nach einer Beratung mit 80 Kolleginnen und Kollegen erstellt. Darin wird ausdrücklich vor einer frühzeitigen Intubation gewarnt, wie sie bei Patienten mit akutem entzündlichem Lungenversagen (ARDS) üblich ist. Enthalten ist auch der Hinweis auf eine Vielzahl akuter Nierenversagen bei Patienten, die bereits seit Tagen an hohem Fieber leiden und deshalb rasch an Flüssigkeitsmangel leiden.

Johnson hatte sich vor zehn Tagen mit einer Videobotschaft an die Briten gewandt und von seinem positiven Test berichtet: "Ich befinde mich in Selbstisolation und arbeite von daheim aus." Vergangene Woche nutzte er denselben Kommunikationskanal, um der wachsenden Kritik am Vorgehen seiner Regierung gegenzusteuern. In dem wackeligen Handyfilmchen machte er bereits einen deutlich mitgenommenen Eindruck, was sich am Donnerstag bestätigte, als er zum wöchentlichen Beifall für die Bediensteten des staatlichen Gesundheitssystems (NHS) vor die Tür der Downing Street trat.

Am Wochenende teilte auch Johnsons schwangere Verlobte Carrie Symonds per Twitter mit, sie müsse seit einer Woche mit Corona-ähnlichen Symptomen das Bett hüten. Ein Test sei nicht nötig gewesen, "es geht mir wieder besser", schrieb die 32-Jährige. Das erste gemeinsame Kind des Paares – Johnson hat mindestens fünf Kinder aus früheren Beziehungen – wird im Juni erwartet.

Besserungswünsche der Opposition

Quer durchs politische Spektrum wünschten Parteichefs und Ministerpräsidenten dem Premierminister gute Besserung. Dazu gehörte auch der am Samstag gewählte neue Oppositionsführer Keir Starmer. Die Regierung habe bei der Bekämpfung des Coronavirus schwerwiegende Fehler gemacht, sagte Starmer in Interviews am Wochenende. Er wolle durch konstruktive Kritik zum Gelingen des gemeinsamen Kampfes beitragen: "Wir machen keine Opposition um der Opposition willen."

Erkennbar spiegelt Starmers Haltung die Stimmung in der Öffentlichkeit wider. In den vergangenen Tagen hatte die Kritik der Medien am Vorgehen der Regierung in der Corona-Krise stetig zugenommen. Die konservative "Sunday Times" analysierte, der "unerfahrene" Premierminister habe ein Kabinett ohne Tiefgang und Erfahrung um sich geschart.

Am Montag, noch vor Johnsons Verlegung auf die Intensivstation, richtete der erfahrene Politikchef des Senders Sky News sein Feuer auf die Downing Street: Das von Johnson und seinem Team zur Schau gestellte "Draufgängertum" sei den Beteiligten nicht gut bekommen. Tatsächlich haben sich neben dem Regierungschef auch Gesundheitsminister Matthew Hancock, der oberste Gesundheitsbeamte Christopher Whitty sowie Johnsons engster Berater Dominic Cummings mit Sars-CoV-2 infiziert. (Sebastian Borger aus London, 6.4.2020)