Die Dorfattraktion von Arzl, die Benni-Raich-Brücke.

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"Ga du bisch it vo da? Du redsch so koumisch!" Solche Sätze, die auf Hochdeutsch so viel bedeuten wie: "Du kommst nicht von hier, oder? Dein Dialekt unterscheidet sich von dem hier gängigen sprachlichen Duktus merklich", waren mir in der Volksschule sehr vertraut.

Ich wuchs in Arzl im Pitztal auf, einem 3.000-Seelen-Dorf im Tiroler Oberland. Bis ich drei Jahre alt war, wohnte ich mit meinen Eltern in der Landeshauptstadt Innsbruck. Als wir aufs Land zogen, wollten sie mir eine Bilderbuchkindheit zwischen Kühen und Baumhäusern ermöglichen.

Allerdings hatten sie nicht damit gerechnet, dass diese rauer ausfallen würde als gedacht. Vom städtischen Integrationskindergarten wechselte ich in den Arzler Dorfkindergarten. Während in Innsbruck Pokémon hoch im Kurs standen, machte meine neue Gruppe gerade die Osterliturgie durch. Der Pfarrer kam extra in den Kindergarten und erklärte die Leiden des Herrn sehr plastisch – ich war schockiert. Diese Schockstarre hielt noch ein paar Jahre an.

In denen mussten auch meine Eltern ihre Ideale über Bord werfen. Aus "Der Klügere gibt nach" wurde "Wehr dich!", für einen Atheisten und eine Taufkatholikin wurde die Erstkommunion ihrer Tochter ein Ereignis, das ein ganzes Schuljahr ausfüllte.

Grundpfeiler der Dorfgemeinschaft

Trotz aller Bemühungen – so ganz schaffte ich es einfach nicht, mich anzupassen. Arzl ist ein traditionelles Tiroler Dorf. Die vier Grundpfeiler der Dorfgemeinschaft: Musikkapelle, Jungbauern, Freiwillige Feuerwehr und Schützenverein. Inoffizieller Ehrenbürger Nummer eins: Benni Raich, ehemaliger Skirennfahrer und Namensgeber der Dorfattraktion, der Benni-Raich-Brücke (lange Zeit die höchste Fußgänger-Hängebrücke Europas).

Als Raich einmal unseren Kindergarten besuchte und Autogramme verteilte, machte ich mir mit der Frage: "Wer ist dieser Mann?", nicht gerade Freunde. Da ich Trompete lernte, wäre ich fast der Musikkapelle beigetreten. Die Tracht schreckte mich am Ende doch ab.

Grillplatz am Bach

In meiner Kindheit hatte ich mir oft gewünscht, wieder in der Stadt zu leben. Ich beneidete meine Innsbrucker Kindergartenfreundinnen um ihr aufregendes Leben und fieberte dem Tag entgegen, an dem ich endlich fürs Studium nach Innsbruck ziehen konnte. Doch während meiner Jugend lernte ich mein Dorfleben zu schätzen.

Etwa den Grillplatz am Bach, den Disco-Fox-Kurs, zu dem mich mein Nachbar überredet hatte, oder den jährlichen Maskenball im Gemeindesaal (den meine Freundinnen und ich als Simpsons fast gewonnen hätten).

Ich werde Arzl vielleicht nie so lieben, wie andere es tun (wie etwa 30 junge Männer, die sich das Dorfwappen auf den Allerwertesten tätowieren ließen), doch wenn mich jetzt jemand fragt: "Ga, du bisch it vo da?", lautet meine Antwort: "Ai woll, i in a Arzlerin!" (Antonia Rauth, RONDO, 11.4.2020)