Didier Raoult kämpft um den Einsatz von Chloroquin.

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Didier Raoult versteht die Welt nicht mehr. "Warum will man mich daran hindern, das einzige Medikament abzugeben, das ein Ergebnis zeigt – hier und jetzt?", sagte der 68-jährige Mikrobiologe vergangene Woche in einem Interview. Das Ergebnis sei klar: Von 1.003 Corona-Kranken, die er an der Universitätsklinik von Marseille mit seinen Methoden behandelt habe, sei nur einer verstorben.

Ein Raoult-Anhänger und hochrangiger Vorsteher der Region Provence-Côte d'Azur fragte in der "Financial Times" voller Empörung: "Nur weil er lange Haare und einen Bart trägt und weil er aus Marseille stammt, soll er nicht das Recht haben, weltweit die Nummer eins auf seinem Gebiet zu sein?"

Egozentriker und Provokateur

Dazu muss man wissen: Didier Raoult ist in seiner Heimatstadt ein Star. Ein Rebell im Arztkittel. Ein Egozentriker und Provokateur, der sich "Weltmeister" seines Faches nennt; von den antiken Statuen, die er sammelt, verewigt ihn eine selbst als glorreichen Römer. Eine von ihm entdeckte Bakteriengruppe beehrte er sogar mit seinem Namen – "Raoultella".

In Paris, dem nördlichen Gegenpol von Marseille, dieser temperamentvoll-chaotischen Hafen- und Einwandererstadt am Mittelmeer, gilt der Mikrobiologe vor allem als Großmaul. Zumal als eines, das öfters danebenliegt: So unterschätzte er zuerst die Klimaerwärmung, im Jänner auch die Corona-Krise.

Der Querdenker, der die Schule frühzeitig verlassen und sich als Matrose verdingt hatte, bevor er Medizin studierte, gilt aber auch als einer der besten Virologen der Welt. Seinen Youtube-Auftritten schauen Hunderttausende zu, mehr als den Online-Pressekonferenzen der Pariser Regierung.

Anti-Malaria-Molekül

Dank des Internetkanals seiner Klinik ist Raoult heute der wichtigste Fürsprecher von Chloroquin, diesem Hoffnungsschimmer für Sars-CoV-2-infizierte Patienten auf den Intensivstationen rund um den Planeten. Das 1934 entdeckte Anti-Malaria-Molekül wird heute von Pharmamultis wie Novartis oder Sanofi hergestellt. Es wirkt nicht direkt auf das Coronavirus ein, sondern auf infizierte Körperzellen. Sanofi hat sich bereiterklärt, "mehrere Millionen Dosen Plaquenil" für die Heilung von 300.000 Patienten bereitzustellen. Die Regierung in Paris zögert aber.

Raoult sorgte am 24. März erstmals für weltweites Aufsehen, als er eine Studie publizierte, wonach von 24 Patienten drei Viertel nach sechs Tagen mit Chloroquin geheilt worden seien. Berufskollegen vermissten allerdings den methodologischen Ansatz. Als ihm aus Paris auch noch unterstellt wurde, er habe bewusst einen Todesfall nicht einberechnet, verließ Raoult kurzerhand den von Präsident Emmanuel Macron einberufenen Nationalen Wissenschaftsrat, in dem die angesehensten Ärzte Frankreichs mitmachen.

Nicht ohne Rezept

Der Theatercoup wirkte: Zwei Tage später erlaubte die Regierung die Abgabe von Chloroquin, allerdings nur für die schwersten Fälle und nur auf Beschluss eines Ärztekollegiums. Raoult musste klarmachen, dass man das heute auch bei Arthritis und Hautproblemen eingesetzte Mittel auf keinen Fall ohne Arztrezept nehmen soll. Am 27. März doppelte er aber mit einer neuen Chloroquin-Studie nach: Von 80 Beatmungspatienten im zumeist hohen Alter sollen mit zwei Ausnahmen alle eine "klinische Besserung" erfahren haben.

Gesundheitsminister Olivier Véran bleibt skeptisch. Seine Berater verweisen auf die teils schweren Nebenwirkungen von Chloroquin – Allergien, Seh- und Verdauungsstörungen, dazu gefährliche Herzrhythmusschwankungen.

Täglich wogt der Kleinkrieg zwischen der Marseiller Klinik und dem Macron-Lager in Paris. Raoult wirft den Gesundheitspolitikern in der Hauptstadt vor, sie wollten ihn zum Verstummen bringen. Seine Uniklinik verlor trotz ihres guten Rufs das Gütesiegel des mächtigen nationalen Gesundheitsinstituts Inserm. Raoult kritisiert regelmäßig die Interessenkonflikte des Inserm, dessen Vorsteher Yves Lévy mit Macrons vormaliger Gesundheitsministerin Agnès Buzyn verheiratet ist.

Diese Unterstellung ist allerdings noch kein Argument für Chloroquin. Was Raoult auch verschweigt: Ein Amerikaner, der das Mittel von sich aus geschluckt hatte, soll daran gestorben sein.

WHO prüft Einsatz

Es ist wohl kein Zufall, dass auch selbsternannte "Systemgegner" wie US-Präsident Donald Trump oder Tesla-Gründer Elon Musk Raoults Argumente für das Chloroquin aufgenommen haben. Auch in den USA dämpfen aber die offiziellen Behörden wie die Food and Drug Administration (FDA) die Hoffnungen der Chloroquin-Verfechter.

Raoult präsentiert sich deshalb gerne als Verfemter der "offiziellen" Gesundheitspolitik. Das stimmt schon deshalb nicht, weil Pharamultis wie Sanofi auf seiner Seite stehen. Auch die Weltgesundheitsorganisation prüft neben Arzneien wie Lopinavir oder Remdesivir auch Chloroquin für den Anti-Covid-Einsatz. Zahlreiche Länder testen das Molekül, wie China, wo die ersten Resultate nicht eben spektakulär ausgefallen sein sollen. In Frankreich haben vor einer Woche 37 Spitäler eine großangelegte Chloroquin-Studie mit 1.300 Patienten gestartet. Die Resultate sollen in ein paar Wochen vorliegen. Das sei zu spät, sagte Raoult am Wochenende: "Die klinischen Studien können wir auch nachher noch erstellen." Ein zumindest unorthodoxes Vorgehen. (Stefan Brändle, 8.4.2020)