Unter anderem das Recht auf Versammlungsfreiheit wurde eingeschränkt.

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Grundsätzlich erlauben internationale Gesetze, dass die Grundrechte der Menschen im Angesicht einer Krise vorübergehend ausgesetzt werden. Das ist während der gegenwärtigen Coronavirus-Pandemie der Fall und auch legitim, heißt es in einem ersten Bericht der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) über die Maßnahmen der Mitgliedsstaaten im Kampf gegen die Virusausbreitung. Die FRA-Experten erinnern aber gleichzeitig daran, dass die Grundrechte wie das Recht auf Bewegungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, Gesundheit oder Arbeit nur auf Zeit ausgesetzt werden dürfen – und das auch nur, wenn die Auswirkungen streng überwacht werden und sie verhältnismäßig sind.

In diesem ersten Dokument reißen die FRA-Autorinnen und -Autoren breite Themenfelder an, in denen sie die Verletzung von Grundrechte orten. Sie halten jedoch gleich zu Beginn fest, dass sie aufgrund der sich schnell entwickelnden Lage und der gleichzeitigen Anpassung der Maßnahmen keine vertiefende Untersuchung oder Empfehlungen für weitere Vorgehensweisen bieten können. Das soll in einer Serie an weiteren Berichten geschehen. Untersucht wurden die Maßnahmen, die von den Mitgliedsstaaten im Zeitraum vom 1. Februar bis 20. März getroffen wurden.

"Was die Auswirkungen klar zeigen, ist, dass auf der einen Seite die Gesamtbevölkerung von Maßnahmen betroffen ist", sagt Martha Stickings, eine der Studienautoren, am Telefon. "Auf der anderen Seite werden einzelne Gruppen individuell eingeschränkt." Unter anderem seien Menschen in Institutionen besonders von den restriktiven Maßnahmen betroffen: Bewohner von Altersheimen, Häftlinge oder Menschen in Asylzentren und Flüchtlingslagern. In diesen Einrichtungen sei besonders die zeitweilige Überfüllung eine Herausforderung. Die FRA-Experten warnen, dass diese Menschen vor allem durch Besuchsverbote betroffen und gefährdet seien, weiter isoliert zu werden. In Haftanstalten könnten etwa vermehrte Anrufe oder Videoanrufe die Isolation aufbrechen. In manchen Mitgliedsstaaten seien gewisse Insassen frühzeitig entlassen worden.

Rassismus und Arbeitsmarkt

Die Grundrechteagentur warnt vor einem Anstieg häuslicher Gewalt – manche Mitgliedsstaaten hätten deshalb eine weitreichendere telefonische Betreuung eingerichtet – und einem Anstieg an Rassismus, wobei sich dieser vor allem gegen Menschen (vermuteter) asiatischer Abstammung richte. Bei der FRA sind Meldungen eingegangen, dass davon Betroffenen zum Teil medizinische Behandlung verwehrt worden sei. In Schweden wurden Betroffene in Restaurants nicht bedient, und der Präsident der italienischen Region Venetien sagte offen: "Wir haben alle bereits [Chinesen] gesehen, die lebende Ratten und Ähnliches essen", womit er rassistische Klischees verbreitete. Viele Betroffene melden sich laut FRA-Experten aus Scham nicht, und die Studienautoren erinnern die nationalen Behörden daran, ein besonderes Auge auf solche Übergriffe zu haben.

Auch am Arbeitsmarkt orten die Mitarbeiter der Grundrechteagentur Probleme. Indem die Wirtschaft besonders hart durch die Maßnahmen getroffen worden sei, würden sich auch Möglichkeiten öffnen, dass Angestellte weniger Zugang zu Informationen über ihre Rechte hätten, der Schutz vor ungerechtfertigten Kündigungen müsse gesichert werden. Die Behörden sollen zudem sicherstellen, dass Arbeiter, die bereits vor der Krise in prekären Verhältnissen tätig waren, von staatlichen Hilfen nicht ausgeschlossen werden. Werden Angestellte wegen Virussymptomen in Quarantäne geschickt, haben einige Länder wie Finnland und Kroatien staatliche Ausfallzahlungen initiiert. Von den Gewerkschaften Maltas erreichten die FRA aber Berichte, wonach Mitarbeiter mit der Information in Heimquarantäne geschickt wurden, dass sie in dieser Zeit kein Gehalt erhalten und die Zeit von ihren Urlauben beziehungsweise Krankenständen abgezogen werde.

Schulen und Informationszugang

Nachdem in allen Mitgliedsstaaten außer Schweden die Schulen geschlossen wurden, weisen die FRA-Experten zudem darauf hin, dass vulnerable Gruppen nicht übersehen werden dürften. Das Recht auf Bildung gelte für alle. Laut Eurostat-Daten aus dem Jahr 2019 hatten zehn Prozent der EU-Haushalte keinen Internetanschluss. Lehrerpersonal auf Zypern berichtet von Problemen, Kinder und Jugendliche aus Migranten- oder Flüchtlingsfamilien zu erreichen.

Wichtig ist für die EU-Grundrechteagentur außerdem, dass die verfügbaren Informationen über das Virus und die getroffenen Maßnahmen für alle Menschen zugänglich gemacht werden – unabhängig von ihrer Muttersprache oder ihrer Behinderung.

Ein nächster Bericht ist laut Stickings für Mitte Mai geplant. Dann sollen die Maßnahmen auch in Hinsicht auf Rechtsstaatlichkeit, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit untersucht werden. "Dass Mobilfunkdaten in gewisser Weise mit Behörden geteilt werden sollen, werden wir uns gewiss genauer ansehen", sagt Stickings. (Bianca Blei, 8.4.2020)