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Jean-Claude Juncker war bis 2019 EU-Kommissionspräsident. Von 1989 bis Juli 2009 war er Finanzminister und von 1995 bis Dezember 2013 Premierminister Luxemburgs sowie von 2005 bis 2013 Vorsitzender der Eurogruppe.

Foto: AP/Kenzo Tribouillard

Der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zeigt sich skeptisch, was die Sinnhaftigkeit der sogenannten Corona-Bonds zur Krisenbewältigung betrifft, wie sie Italien fordert. "Das dauert zu lange. Es ist aber Dringlichkeit geboten", sagte er in einem Interview mit dem STANDARD am Mittwoch, nachdem sich die Eurofinanzminister in der Nacht wegen dieser Frage bei EU-Hilfen nicht hatten einigen können: "Man wird der Herausforderung nicht gerecht, wenn man sich jetzt auf dieses Instrument konzentriert."

An sich befürworte er dieses Finanzierungskonzept gemeinsamer europäischer Anleihen, erklärte Juncker, und er habe es 2010 als damaliger Eurogruppenchef in der Wirtschafts- und Finanzkrise sogar selbst vorgeschlagen. Aber: Selbst wenn die Staaten sich einig wären, "wäre es nicht über Nacht möglich, Corona-Bonds in die Welt zu setzen", selbst wenn diese nicht dem Abbau von Schulden dienten und zeitlich begrenzt würden. Wie schon beim Europäischen Stabilitiätsmechanismus (ESM), den man 2010 aufgebaut hat, würde es "Monate, ja mindestens ein halbes Jahr dauern, um Fragen der Umsetzung und der Governance zu lösen".

Das Geld werde aber rasch gebraucht. Der frühere Kommissionschef befürwortet daher die Vorschläge, dass Kredite bis zu 410 Milliarden Euro aus dem ESM mobilisiert werden "und auch die Möglichkeiten der Europäischen Investitionsbank (EIB) genützt werden". Diese will 50 Milliarden beitragen zur Unterstützung von Klein- und Mittelbetrieben: "Das ist der richtige Weg", findet er.

Aufstockung des EU-Budgetrahmens

Juncker lässt auch noch mit einem neuen Vorschlag aufhorchen: "Es braucht eine massive Aufstockung des EU-Budgetrahmens bis 2027." Der auf dem Tisch liegende Vorschlag seiner Kommission, wonach 1,13 Prozent der Wertschöpfung der EU-Staaten aufgebracht werden sollen, zu dem die Staats- und Regierungschefs bisher keine Einigung gefunden haben, reiche nicht mehr aus. "Der EU-Haushalt ist das Solidaritätsinstrument schlechthin. Die Kommission muss in die Lage versetzt werden, ihre Ausgaben über die Finanzmärkte so zu hebeln, dass beträchtliche Summen für die Corona-Krise freigemacht werden können."

Vorbild sei der von ihm 2014 geschaffene "Juncker-Fonds", Invest-EU, über den mehr als 400 Milliarden Euro zur Ankurbelung der Investitionen bewegt worden sind. Die Staats- und Regierungschefs warnte er, sich vor voreiligen Schlüssen zur Krisenbewältigung zu hüten: "Es ist dies eine Krise, bei der es um die Gesundheit der Menschen geht, um Leben und Tod, das hat also eine ganz andere Qualität als alle anderen Krisen der EU zuvor", sagt Juncker. Man müsse daher vor allem "offen sein für neue Lösungen, auf die Realität schauen, nicht blind ideologisch vorgehen". Der Ex-Präsident ist überzeugt, dass sich diese Existenzkrise für Europa nur gemeinsam von allem Staaten lösen lässt. Nationalstaaten allein würden daran scheitern. (Thomas Mayer, 8.4.2020)