Aus der natürlich gewohnten Umgebung gerissen, ins Homeoffice verpflanzt und vor die Webcam gesetzt. Und jetzt?

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Die Natur hat uns mit einer Reihe relativ fixer Reaktionsmuster auf bestimmte Reize ausgestattet. Es ist aber nicht jede Reaktion gleich für die Mitmenschen sichtbar, wenn auch die meisten. Einer gut sichtbaren Emotion wie Freude oder Ärger gehen zuvor unsichtbare Reaktion voraus. Die Hormone müssen die gesamte Kaskade an Folgen eines Inputs erst zum Laufen bringen. Wer sehr feinfühlig ist oder es trainiert hat, kann sehr früh seine inneren Reaktionen wahrnehmen, ins Bewusste bringen und versuchen, sich selbst noch ein wenig per Ratio zu steuern, bevor die Emotionen das Kommando komplett übernehmen. Das nennt man dann Impulskontrolle – und sollte Pflichtfach in jeder Pflichtschule sein.

Wo bist du, Reiz?

Was aber, wenn die Reize ausbleiben? Die Videokonferenz im Homeoffice ist so ein Fall. Wir sehen zwar die Gesprächspartner, jedoch in einer eingeschränkten Art und Weise. Meist sehen wir nur das Gesicht, und dieses nur von vorne. Zusätzlich bieten Web-Konferenzprogramme die Möglichkeit an, sein Gesicht im Zuge der Übertragung glätten zu lassen. Farben, Oberflächentexturen, jegliche Hautreaktionen werden herausgefiltert. Tut der Eitelkeit womöglich gut, schadet aber unseren Kommunikationsstrukturen massiv. Warum?

Wir Menschen befinden uns im Rahmen zum Beispiel eines Dialogs in einer Feedbackwolke. Wir senden Signale und erfahren nahezu zeitgleich, wie dieses Signal beim Gegenüber ankommt. Wir erfahren das durch die Signale, die der andere aufgrund unserer Signale sendet – wir stehen in einer ständigen gegenseitigen Feedbackschleife und manipulieren damit einander. Wir erkennen, wenn der eigene gesprochene Inhalt das Gegenüber in Rage versetzt, auch wenn das Gegenüber dies verbal nicht äußert. Aber wir erkennen es, und das zumeist sublim, unter der Bewusstseinsschwelle.

Die sichtbare Rage des Gegenübers lässt uns unsere Inhalte eventuell ein wenig relativieren, wodurch beim Gegenüber die Rage wieder abnimmt. Wir nehmen das wahr. Wenn aber jetzt wichtige Signale weggefiltert werden, wie Hautrötung, Blässe oder Schweißperlen, dann fehlt uns das zur Kommunikation notwendige Substrat. Wir können daher die Reaktion des Gegenübers nicht in unser Denken und Verhalten einfließen lassen. Alleine das ist schon eine große Challenge bei der Videokonferenz. Die Glättung des Gesichts gehört demnach abgestellt.

Was sehe ich?

Eine weitere Challenge ist der Blickkontakt. Der direkte Blickkontakt gilt als das intensivste Signal bei uns Menschen. Direkter Blickkontakt kann aggressiv wirken, bedrohlich sein oder Dominanzhierarchien darstellen. Man spricht vom Drohstarren. Menschen kontrollieren daher meist nur mit kurzen Blickkontakten, ob der Gesprächspartner noch präsent ist. Die meiste Zeit kreisen die Blicke im Gesicht und am Körper des Gesprächspartners herum, um Informationen zum Gesprächspartner zu sammeln. Und doch braucht es gewisse Momente, wo ein freundlicher, offener Blickkontakt, zum Beispiel im Rahmen des Grußes, der freundlichen Worte am Anfang, notwendig ist, wo die Intensität und Dauer des Blicks auch die Bedeutung der gesprochenen Worte unterstreichen. Und da haben wir das Problem, dass im Rahmen von Webkonferenzen Blickkontakt technologisch erschwert wird. Warum?

Weil sich bei Notebooks die Kamera meist oben am Displayrand befindet, während das übertragene Gesicht deutlich darunter abgebildet wird. Wir müssten also in die Kamera schauen und sprechen, wenn wir Blickkontakt suchen. Dabei verlieren wir aber den Blick auf das Gesicht des Gegenübers. Und so kann man feststellen, dass die Menschen im Rahmen von Webkonferenzen alle irgendwo hinsehen, aber einen selbst nicht ansehen. Die Lösung dazu ist ein zweiter Bildschirm, den man hinter dem Monitor mit der Videokamera anbringt und das Fenster mit dem Gesprächspartner so tief einstellt, dass die Kamera des Displays davor fast auf Augenhöhe ist. So kann man in die Kamera sprechen und gleichzeitig in das Gesicht des Gegenübers schauen.

Von unten, schräg, von oben

Ein weiterer Aspekt der kameraübertragenen Kommunikation ist die Augenhöhe. Wer via Notebook von oben auf seine Videokamera einspricht, wird auch so übertragen. Für den Betrachter wirkt das, als ob der Gesprächspartner auf einem säße oder reite – und er reagiert womöglich sexuell ein wenig agitiert, falls ein Gefallen besteht. Aus reiner Faulheit werden Bilder übertragen, die weit von normalen Dialogsituationen entfernt sind. Dabei bedarf es oft nur eines geringen Aufwands, das Notebook auf Augenhöhe zu bringen, um auch auf Augenhöhe kommunizieren zu können. Anklippbare Webcams machen das natürlich leichter.

Videocalls verlangen weiters ein gewisses Ausmaß an Disziplin, damit nicht zwei oder mehrere Teilnehmer gleichzeitig sprechen. Von den Teilnehmern braucht es eine substanzielle Bereitschaft, zurückzuziehen und anderen das Wort zu überlassen. Gute Moderation ist hier obligat. Im analogen Leben kann man gewisse Sprechpassagen durchaus zugleich sagen und hören, und meist setzt sich der Ranghöhere durch, wenn hier Kämpfe um Sprechzeiten erfolgen. Wenn ein Praktikant und seine Chefin durch einen Zufall gleichzeitig in einem Meeting zu sprechen beginnen, endet das meist mit einem verstummenden Praktikanten. Es sei denn, die Chefin besitzt jenes Ausmaß an Größe, das ihre Position auch mitbringen sollte. Das wäre natürlich wünschenswert.

Das Zulassen ehrlicher Signale, Kommunikation auf Augenhöhe samt Blickkontakt und die Gabe zu schweigen lassen einen Videocall in der Regel ganz gut gelingen. (Gregor Fauma, 10.4.2020)