In Rangun desinfizieren Soldaten die Straßen.

Foto: AFP/Ye Aung Thu

Ab Donnerstag steht Ko Nay Lin in Mandalay in Myanmar vor Gericht, weil er ein Interview mit dem Chef der Arakan Army geführt hat. Die Rebellenarmee ist im Westen des Landes, in der Unruheprovinz Rakhine, tätig. Wenige Tage vor der Veröffentlichung des Interviews hatte die Regierung sie zur Terrororganisation erklärt. Der Vorwurf an den Journalisten lautet nun, dass er die öffentliche Sicherheit gefährdet habe und an einer Terrorgruppe beteiligt sei. Ihm drohen zehn Jahre bis lebenslange Haft. Bereits Mitte März hat das Militär Myanmars einen anderen Journalisten angeklagt, der über Kämpfe zwischen der Arakan Army und dem Militär berichtet hatte. Eine ähnliche Anklage ging kurz davor auch bei der Nachrichtenagentur Reuters ein, die über die Kämpfe in Rakhine berichtete.

Dass Myanmar mit Journalisten nicht zimperlich umgeht, ist spätestens seit dem Fall der beiden Reuters-Journalisten bekannt, die erst nach längerem Gefängnisaufenthalt – und unter massivem internationalem Druck – vor knapp einem Jahr freigelassen wurden. Aktuell häufen sich aber wieder Berichte von harten Maßnahmen in Myanmar – und das nicht nur im Bereich der Pressefreiheit.

Schweigende Demokratie-Ikone

Dabei hatte das Land eigentlich seit knapp zehn Jahren einen Weg in Richtung Demokratisierung eingeschlagen. Nach dem Ende einer langjährigen Militärdiktatur wurde etwa die Demokratie-Ikone Aung San Suu kyi aus ihrem jahrelangen Hausarrest entlassen. Bei den demokratischen Parlamentswahlen 2015 durfte sie mit ihrer Nationalen Liga für Demokratie (NLD) antreten – und gewann haushoch. Das höchste Staatsamt verwehrte ihr das weiterhin mächtige Militar aber; als "Staatsberaterin" ist sie nun de facto Regierungschefin und erfreut sich großer Beliebtheit im Land.

International ist sie allerdings schwer angeschlagen: Der Friedensnobelpreisträgerin wird in der Rohingya-Krise Passivität vorgeworfen – die De-facto-Regierungschefin schwieg zumeist. Im Jänner verteidigte sie in Den Haag vor dem Internationalen Gerichtshof sogar das Vorgehen des Militärs. Myanmar wird Genozid an den Rohingya vorgeworfen, in einer ersten Anhörung erklärte Suu Kyi, dass das Militär vielleicht "unangemessene Gewalt" angewandt habe, die "Absicht eines Völkermordes" habe es aber nicht gegeben.

Genozid gegen Demokratisierung?

Analysten mutmaßen, ob hinter dem Verhalten Suu Kyis nicht doch ein Deal mit dem Militär steckt: Sie halte dem Militär in der Rohingya-Krise die Stange, im Gegenzug verzichtet das Militär auf seine 25-Prozent-Quote im Parlament. Dann würde also einer echten Demokratisierung nichts mehr im Wege stehen.

Falls das die Rechnung war, ging sie nicht auf: Als Suu Kyis Partei den Antrag auf Verfassungsänderung Mitte März einbrachte, scheiterte sie – und zwar am Veto des Militärs. Die Macht der Generäle scheint heute so stark wie schon lange nicht mehr. Das "Tatmadaw", so der Name der Armee, macht keine Anstalten, die Zügel in dem multiethnischen Staat aus der Hand zu geben. Ende November werden außerdem die nächsten Parlamentswahlen abgehalten. Bisher scheint der Termin trotz Corona zu halten.

Symbolpolitik in Zeiten von Corona

Mit dem ersten Corona-Toten vergangene Woche reihte sich Myanmar relativ spät in die Liste der von Corona betroffenen Länder ein – zumindest offiziell. Mehr als zehn Rebellenarmeen und über 60 NGOs und Zivilvereine riefen vor einer Woche zu einer Waffenruhe in der schwierigen Zeit auf – auch Uno-Generalsekretär António Guterres hatte weltweit dazu aufgerufen. "Das ist nicht realistisch", war die knappe Antwort der Tatmadaw. "Sie (die Rebellenarmeen, Anm.) müssen einfach den Gesetzen folgen."

Die Regierung versucht sich seit dem Corona-Ausbruch mit Symbolpolitik: Viele Generäle spendeten einige Monatsgehälter für den Kampf gegen Corona, in Mandalay wurden Stadtteile unter Quarantäne gestellt. Insgesamt blieb Myanmar laut offiziellen Zahlen relativ verschont vom Virus: Mit Stand Mittwochabend verzeichnete es drei Tote und bloß 22 Infizierte bei 55 Millionen Einwohnern. Eine hohe Dunkelziffer wird aber befürchtet.

Außerdem ist Myanmar eines der Länder, in denen die höchste Zahl an Staatenlosen lebt. Diese werden offiziell nicht im Gesundheitssystem versorgt. Ein weiterer Hotspot sind die riesigen Flüchtlingslager in und um Cox's Bazaar in benachbarten Bangladesch, wo seit 2017 über 700.000 Rohingya-Flüchtlinge aus Myanmar leben – 40.000 Menschen pro Quadratkilometer, wie die NGO World Vision berichtet.

Haft wegen Corona-Street-Art

So wird wieder unter eiserner Führung des Militärs regiert: "Sie versuchen alle Zeilen zu entsorgen, die sie nicht kontrollieren können", sagte Phil Robertson, Leiter der Asien-Abteilung von Human Rights Watch, zu der Agentur Reuters in Bezug auf die Verfolgung von Journalisten.

Am Mittwoch wurden wiederum drei Künstler festgenommen, weil sie in der nördlichen Stadt Myitkyina ein Corona-Sujet an eine Wand gemalt hatten. Strenggläubige Buddhisten hätten sich darüber empört, weil ein Sensenmann als Symbol des Todes sie an einen buddhistischen Mönch erinnert habe. Den Künstlern drohen zweijährige Haftstrafen. Auch in dem Fall fordert Human Rights Watch, dass die Anklage wegen Religionsverletzung sofort fallengelassen wird.

So wie auch verschiedene NGOs im Fall des Journalisten Ko Nay Lin: "Über einen bewaffneten Konflikt zu berichten ist nicht das Gleiche, wie ein Terrorist zu sein", sagt der Südostasien-Beauftragte des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ), Shawn Crispin. "Einen Journalisten mit lebenslanger Haft zu bedrohen ist unentschuldbar." (Anna Sawerthal, 9.4.2020)