"Sex-Täter" – Beispiele für die sprachliche Verharmlosung von Vergewaltigung auf österreichischen Medienseiten sind rasch zu finden.

Foto: Collage österreichische Medienseiten

"Bluttat in Favoriten: Familienvater geständig", "Familientragödie: Vater tötet Frau und drei Kinder", "Mann erschießt aus Eifersucht Ex-Freundin und ihre Familie": So titeln österreichischen Medien über Fälle häuslicher Gewalt. Wie Medien über solche Gewalttagen berichten können, ohne die Würde der Opfer zu verletzen, hat die feministische Organisation Level Up zusammengetragen. Andrea Brem vom Dachverband österreichischer Frauenhäuser sieht Gewalt gegen Frauen vor allem vom Boulevard bagatellisiert oder stark sexualisiert.

Janey Starling, Autorin der "Media Guidelines for Reporting Domestic Violence Deaths" von Level Up, sollte auf dem diesjährigen Journalismusfestival Anfang April in Perugia über den Inhalt der Richtlinien und die Wichtigkeit einer sensiblen Berichterstattung sprechen. Das Festival wurde abgesagt – das Thema bleibt aber, und ganz besonders in Zeiten des verordneten Daheimbleibens zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus, aktuell.

Schrittweise zu sensiblerer Berichterstattung

"Die Berichterstattung in Österreich deckt eine große Bandbreite ab. Nicht nur, aber besonders im Boulevard wird Gewalt gegen Frauen leider nach wie vor noch oft bagatellisiert oder auch stark sexualisiert", sagt Andrea Brem. "Beispiele wären hier Schlagzeilen wie 'Sextäter' oder häufig genutzte Begriffe wie 'Familientragödie' oder 'Beziehungsdrama' im Falle von Gewalt oder gar Mord. Hier gibt es noch viel aufzuholen", sagt Brem.

Andrea Brem vom Verein Wiener Frauenhäuser sieht "Gewalt gegen Frauen besonders im Boulevard oft bagatellisiert oder auch stark sexualisiert".
Foto: Katrin Buder

"Dennoch stellen wir auch immer wieder fest, dass schrittweise eine Sensibilisierung stattfindet und Gewalt auch klar als solche benannt wird. Mord ist Mord und keine Familientragödie", erklärt Brem. Auch in den Richtlinien wird davor gewarnt, die Tat als ein ungewöhnliches Ereignis darzustellen und sie als "Tragödie" oder "Horror" zu bezeichnen. Besonders klischeehafte Beschreibungen wie "der sitzengelassene Partner" oder "die Affäre" sollen vermieden werden.

Die Verantwortung liegt beim Täter

In den Richtlinien der Organisation Level Up beschreibt Starling insgesamt sechs "Best Practice Reporting Tips". So soll beispielsweise die Schuld auf den Täter und nicht auf das Opfer gelegt werden und das Verbrechen als häusliche Gewalt/Mord betitelt werden. "Männer töten, um ihre Kontrollmacht zu demonstrieren, nicht weil sie 'die Kontrolle verloren haben'", heißt es in den Media Guidelines.

"Das Opfer nicht als mitverantwortlich zu beschreiben – etwa aufgrund des erfolgten Alkoholkonsums, aufgrund einer beruflichen Tätigkeit, aufgrund eines vorangegangenen Beziehungsstreits … – ist ein ganz wesentlicher Punkt. All das mag stimmen, nichts davon macht jedoch einen Mann zum Gewalttäter. Die Verantwortung muss klar dort verortet werden, wo sie hingehört, nämlich beim Täter", pflichtet Brem bei. Auch spekulative Gründe oder Auslöser für den Mord sollen laut den Guidelines kein Bestandteil der Berichterstattung sein.

"Zusätzlich wäre hier etwa wichtig, keine grausamen Details zum Tathergang zu nennen", erklärt Brem: "Diese Details können einerseits die Würde des Opfers untergraben, haben aber teils auch schwerwiegende Auswirkungen auf die Angehörigen, wenn diese den genauen Tathergang etwa aus der Zeitung erfahren. Auch Namensnennungen oder Fotos des Opfers sollten vollkommen tabu sein – dies ist im Grunde auch rechtlich geregelt. Auch auf Details wie beispielsweise Fotos vom Wohnhaus des Opfers, Fotos von Kindern oder anderen Angehörigen sollte verzichtet werden. Andererseits darf auch nicht bagatellisiert werden."

Die Autorin der Media Guidelines "Dignity for Dead Women", Janey Starling, rät dazu, skandalisierende Sprache, grafische sowie andere Details, die die Würde der Verstorbenen, ihrer noch lebenden Kinder oder anderer Familienmitglieder verletzen, zu vermeiden. "Und grundsätzlich gilt: Sachliche Hintergrundinformationen zum Thema bieten, stets auch über Hilfseinrichtungen wie eben uns Frauenhäuser berichten – damit betroffene Frauen auch sehen, es gibt einen Ausweg, es gibt Unterstützung", erklärt Brem. Familienmitglieder können durch eine unsensible Berichterstattung traumatisiert werden. Brem hat einen solchen Fall erlebt: "Ja, im Fall einer Familie, die durch die Fotos ihrer ermordeten Angehörigen extrem geschockt war."

Größere Aufmerksamkeit für das Thema

Ist es wichtig, dass die Medien über häusliche Gewalt berichten? "Mediale Berichterstattung erhöht immer die gesellschaftliche und politische Aufmerksamkeit für ein Thema. Insofern sind wir natürlich dafür, dass berichtet wird, solange die Würde des Opfers gewahrt bleibt.

Aber, so Brem: "Besonders wichtig sind aus unserer Perspektive Berichte über Hilfseinrichtungen wie die Frauenhäuser – betroffene Frauen dürfen nicht noch mehr Angst bekommen, sondern sollen sehen, dass sie sofort zum Telefon greifen und sich professionelle Unterstützung holen können. Auch Berichte über die rechtlichen Möglichkeiten einer Frau, die von häuslicher Gewalt betroffen ist, wären wünschenswert. Frauen werden von ihren gewalttätigen Partnern oft bewusst falsch informiert und denken deshalb, es gäbe keinen Ausweg. Medien sollten hier unbedingt ihre Rolle als zentrale Informationsdrehscheibe nutzen." (Nadja Riahi, 10.4.2020)