Frage:

"Der Großvater meines Mannes ist 83 Jahre alt und alleinstehend. Er leidet seit dem Verlust seiner Frau unter Depressionen und nun auch an einer fortschreitenden Demenz. Für ihn waren die regelmäßigen Besuche der Verwandtschaft immer das Highlight der Woche. Wir haben einen dreijährigen Sohn, der ihn regelrecht erblühen lässt. Nun hat er seinen Urenkel und auch seine anderen Enkelkinder schon seit vier Wochen nicht mehr gesehen, er leidet sehr darunter. Er sagt, dass er lieber das Risiko eingehen will und im Falle stirbt, anstatt so lange einsam zu sein. Vor allem jetzt vor Ostern ist es wirklich schwer für ihn zu ertragen, dass wir ihn nicht besuchen werden. Zusätzlich ist er etwas schwerhörig, deswegen sind die Telefonate für ihn nicht ausreichend. Die ganze Familie plagt das schlechte Gewissen, und mit Logik kommen wir bei ihm nicht voran, können ihm keinen Trost spenden. Wir können seine Einsamkeit auch absolut nachvollziehen. Langsam entwickelt er auch eine Wut, weil er ständig bevormundet wird. Er soll zum Beispiel plötzlich nicht mehr zum Einkaufen gehen, das erledigt eine Pflegehilfe, er darf nicht rausgehen und seine Freunde vom Kartenspielen treffen.

Zu wissen, dass die Großeltern alleine und einsam zu Hause sind, tut meist auch den Angehörigen im Herzen weh.
Foto: Thanasis Zovoilis

Meine Frage ist nun: Was können wir tun, um ihm das Leben zu erleichtern? Wie kann ich ihm zu verstehen geben, dass die Familie ihn nicht entmündigen will? Wie können wir ihm Trost schenken?"

Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation, die so noch nicht da gewesen ist. Die Politik musste unter dem Druck der Ereignisse Entscheidungen treffen, die den Vorgaben der Virologen und Epidemiologen entsprechen. Welche Konsequenzen diese Entscheidungen haben und in absehbarer Zukunft haben werden, ist bislang völlig unklar. Der Notstand auf den Intensivstationen wurde abgewendet, doch was ist der Preis, den wir alle dafür zahlen werden?

So überraschend das im ersten Moment auch klingen mag, ist die Wut Ihres lieben Schwiegeropas vielleicht nur ein Vorbote dessen, was uns an Wut in der Bevölkerung noch bevorsteht, wenn die wirtschaftlichen Folgen der Krise bei uns, in Europa und in der Welt greifen. Wir wurden nicht gefragt, weil direkte Bürgerbeteiligung bei uns kaum existiert und zudem bei der Eile der Entscheidungen kaum möglich gewesen wäre. Aber war es nicht erschreckend mitzuerleben, wie leichtfertig wir uns unsere Grundrechte wie die Bewegungsfreiheit abnehmen lassen, Freiheiten, für die Menschen in anderen Ländern bereit sind, ihr Leben zu lassen? War das unausweichlich, oder wären Schutzmaßnahmen auch ohne Bevormundung möglich gewesen, wie in Schweden? Wir wissen es (noch) nicht.

Auch die Hauptrisikogruppe der über Achtzigjährigen wurde nicht gefragt, ob sie die unfreiwillige Isolation der Gefahr, sich anzustecken, vorzieht. Viele von ihnen stürzt die verschärfte Vereinsamung in Depressionen. Auf Befragen geben viele an, lieber im Kreis ihrer Liebsten sterben zu wollen, als einsam auf den nahen Tod zu warten.

Daran wird erkennbar, wie essenziell wir Menschen auf unsere Bindungen angewiesen sind, wie sie das wertvollste sind, das wir im Leben haben. Gerade alten Menschen mit ihrer Lebenserfahrung und mit ihrem Wissen um den unausweichlichen nahen Tod wissen um die Bedeutung, die Beziehungen in unserem Leben haben. Für die Verwandten ist es furchtbar mitanzusehen, wie ihre Eltern und Großeltern an der Einsamkeit leiden und nicht selbst entscheiden zu dürfen, ob und wie sie Besuche gestalten können. Schließlich ist bekannt, dass ein Sicherheitsabstand von zwei Metern an der frischen Luft ausreichend Schutz bietet.

Gibt es da anlässlich des schönen Wetters nicht die Möglichkeit, dass man einander sieht, ohne die Regeln zu verletzen? Ein Parkspaziergang ist schließlich auch bei strenger Auslegung der Ausgangssperre erlaubt! (Hans-Otto Thomashoff, 10.4.2020)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Alexandra Diemand

Antwort von Linda Syllaba

Es ist wirklich schwer, etwas zu finden, dass nun helfen kann, denn aus der Perspektive des Großvaters gibt es keinen Trost, keine Entkräftung der Wahrnehmung und keine Erleichterung, die Sie aus dieser Distanz und unter Berücksichtigung von Schwerhörigkeit und fortschreitender Demenz liefern können. Das merken Sie ja gerade. In gewisser Weise hat er ja auch recht, und so ist selbst seine Aggression nachvollziehbar. Denn die geht immer mit der Abwertung der eigenen Person, in diesem Fall dem Entzug der Selbstbestimmung, einher.

Sie könnten Kinderzeichnungen schicken, liebe Worte niederschreiben, Fotos und Alben sowie Blumengrüße zustellen lassen. Alles das und andere kreative Ideen können einen Hauch von "Wir denken an dich" transportieren. Doch das Einzige, was wirklich helfen würde, wäre ein persönlicher Besuch, von dem Ihr Großvater wieder ein paar Tage zehren könnte. Noch dazu, wenn er mit technischen Hilfsmitteln nichts anfangen kann, bleibt nur das.

Einsamkeit ist ein fürchterlicher Zustand, dem mit Vernunft schwer beizukommen ist, weil es ja ein Gefühlskomplex aus Trauer, Ärger, Frust oder Ähnlichem ist. Man kann so etwas nur auf derselben Ebene "beheben", auf der es entstanden ist. Das bedeutet, auf der Gefühlsebene anzuerkennen, was da ist, könnte möglicherweise ein hilfreicher Schritt sein. Also Verständnis für seine Wut äußern, auch eigene Gefühle artikulieren – "Mir fällt es auch schwer, ich bin schon so traurig, weil ich deine Not spüre". So kann potenziell etwas Entspannung eintreten, wenn er sich wahrgenommen, verstanden fühlt, wenn Einfühlung erkennbar ist – andernfalls bleibt auch noch dieses "Keiner versteht mich" zurück, und das befeuert den Frust und Ärger noch mehr.

Demente Menschen verhalten sich oft wieder wie kleine Kinder, impulsiv und wenig vernunftgesteuert. Auch bei Kindern empfehle ich, empathisch zu sein, statt mit noch mehr Druck wieder Gegendruck zu erzeugen. Das Zeitgefühl wird mit großer Wahrscheinlichkeit bei Opa bereits verschwommen sein, auch ähnlich wie bei Kindern. Schon eine Woche in Einsamkeit kann eine sehr lange Zeit sein. Damit hat sich Ihr Opa bereits arrangiert, was ohnehin bitter für ihn ist. Doch vier Wochen gleichen dann einer gefühlten Ewigkeit!

Höchst soziale Wesen, wie wir Menschen es nun mal sind, brauchen Nähe, Verbindung, Zuwendung ebenso wie Sauerstoff und Nahrung. Er wäre nicht der erste Mensch, der an "gebrochenem Herzen" stirbt.

Ich würde ja gerne mehr wissen über die Rahmenumstände, denn wenn sowohl Sie mit Ihrer Kleinfamilie als auch der Großvater bereits mehrere Wochen in Quarantäne und unter Einhaltung aller empfohlenen Maßnahmen leben und immer noch alle gesund sind, wüsste ich persönlich nicht, was mich von Opa ferner als eineinhalb Meter Abstand halten könnte. (Linda Syllaba, 10.4.2020)

Linda Syllaba ist diplomierte psychologische Beraterin, Familiencoach nach Jesper Juul und Mutter. Aktuelles Buch: "Die Schimpf-Diät" (2019).
Foto: Bianca Kübler Photography