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B- und T-Zellen des Immunsystems greifen den Krankheitserreger an. Die Abwehr erfolgt in verschiedenen Phasen.

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In Zeiten der Corona-Pandemie wünscht sich so gut wie jeder ein gutes Immunsystem. Besonders ältere Menschen, denn für sie ist der Erreger tendenziell gefährlicher als für junge. Während Sars-CoV-2 bei Leuten bis zum 40. Lebensjahr fast immer mild oder – so vermuten die Forscher – vielleicht sogar ganz ohne Symptome verläuft, setzt es Menschen ab dem mittleren Alter tendenziell mehr zu. "Weil eben auch das Immunsystem altert", sagt die Immunologin Ursula Wiedermann-Schmidt von der Medizinischen Universität Wien und nennt das "Immunoseneszenz".

Mit zunehmendem Alter verändern sich auch die Abwehrkräfte des Körpers, die sich aus einer Vielfalt von verschiedenen Zellen zusammensetzen. "Wir wissen von anderen Erregern, dass Erkrankungen ab dem 60. Lebensjahr tendenziell schwerer verlaufen," so Wiedermann-Schmidt. Bei Sars-CoV-2 scheint die Erkrankung in zwei Phasen abzulaufen. In der ersten findet die Virusvermehrung in den oberen Atemwegen statt. Das angeborene Immunsystem reagiert mit der Ausschüttung verschiedener Botenstoffe auf diesen Eindringling. Auch die zelluläre Immunantwort spielt eine wichtige Rolle.

Die Kampfeinheiten des Immunsystems

Es werden vermehrt Leukozyten aktiviert, die wiederum B-Zellen auf den Plan holen, die dann die Antikörper bilden sollen. Die Bildung von Antikörpern beginnt etwa fünf Tage nach Krankheitsbeginn. Auch das verläuft stufenweise. Zuerst mit der Bildung von Immunglobulinen M (IgM), dann entstehen die Immunglobuline G (IgG). Letzteres lässt sich circa zehn Tage nach Infektion überprüfen. Wenn gleichzeitig dann auch bereits virusneutralisierende Antikörper da sind, klingt die Infektion ab. Bei den meisten Infizierten läuft das auch so ab. Dann gelten sie als genesen. Diese Kaskade von Zellalktivitäten neutralisiert das Virus, die Krankheit geht zurück.

Gelingt dem Immunsystem diese Kaskade an Zellaktivitäten nicht reibungslos, geht die Infektion in eine zweite Phase über. "Es findet ein Etagenwechsel in die Lunge statt", sagt Wiedermann-Schmidt – und meint den schweren Covid-19-Krankheitsverlauf. Der Zustand von Patienten verschlechtert sich, es werden übermäßig viele Botenstoffe im Immunsystem gebildet, es kommt zu einem Zytokinsturm, der lebensgefährlich werden kann. Das Immunsystem hat es dann nicht rechtzeitig geschafft, genügend schützende Antikörper zu bilden, die Virusvermehrung setzt sich in der Lunge fort.

Immunsystem im Dämmerzustand

Das Immunsystem junger Menschen kommt offenbar aber viel besser mit Sars-CoV-2 zurecht. "Sie verfügen über eine höhere Anzahl von naiven Immunzellen, die dafür da sind, mit unbekannten Erregern zurande zu kommen", so Wiedermann-Schmidt. Doch außer Kraft gesetzt ist das Immunsystem älterer Menschen keineswegs. "Meist sind die Immunantworten verlangsamt oder nicht mehr so intensiv, weil weniger naive Immunzellen zur Verfügung stehen", sagt Wiedermann-Schmidt. "Je älter man wird, umso geringer ist eben auch die Anzahl der verschiedenen Abwehrzellen des Immunsystems", so ihre Erklärung, die sie am Beispiel der T-Zellen ausführt. Für die T-Zellen gibt es im jugendlichen Immunsystem eine Art Ausbildungsstätte, die Thymusdrüse, die mit den Lebensjahren verkümmert. Das Immunsystem älterer Menschen kann daher kaum oder nur sehr schlecht auf ganz neue Erreger reagieren.

Der US-Immunbiologe Janko Nikolich-Žugich von der Universität Arizona spricht im Zusammenhang mit der verzögerten Immunantwort älterer Patienten deshalb davon, dass ihr "Immunsystem in einer Art Dämmerschlaf sei" und erst reaktiviert werden müsse.

Langes Gedächtnis

"Ältere Menschen leben von der Immunität, die sie ein Leben lang aufgebaut haben, und von den eher unspezifischen Abwehrmechanismen des angeborenen Immunsystems", sagt Wiedermann-Schmidt. Gegen das aktuelle Coronavirus findet es keine Waffe im aufgebauten Repertoire der Antikörper. Wenn dann auch noch Vorerkrankungen dazukommen, bildet sich die schwächelnde Immunität schließlich in den Mortalitätszahlen ab. Liegt die Sterblichkeit durch Sars-CoV-2 bei über 40-jährigen an Covid-19 Erkrankten bei 0,3 Prozent, steigt sie ab dem 50. Lebensjahr auf 1,25 Prozent, bei 80-jährigen Covid-19-Erkrankten liegt sie bei 13,4 Prozent, wie das Imperial College in London ermittelt hat.

Eine Beobachtung von Medizinern ist übrigens, dass Männer schlechter mit dem Coronavirus zurechtkommen als Frauen. Ältere Frauen, so die Untersuchungen, scheinen im Vergleich noch über mehr Reserven an funktionstüchtigen B- und T-Zellen zu verfügen. Oder, auch das wäre eine Erklärung: Sie haben weniger Rezeptoren in der Lunge, über die das Virus eintreten kann. "All das muss erst genau untersucht werden", sagt die Immunologin.

Hürden für Impfungen

"Die unterschiedlichen und altersabhängigen Reaktionen des Immunsystems könnten sich auch als eine Herausforderung bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das Coronavirus herausstellen", gibt Immunologin Ursula Wiedermann-Schmidt zu bedenken. Zwar sei es noch zu früh, um zu spekulieren, doch theoretisch könnte es sein, dass für verschiedene Altersgruppen auch unterschiedliche Impfstrategien entwickelt werden müssen.

Die gute Nachricht zum Schluss: Das chronologische Alter eines Menschen muss nicht unbedingt mit dem biologischen Alter – inklusive Fitness des Immunsystems – übereinstimmen. Das erklärt auch den Umstand, warum jüngere Menschen ohne die mittlerweile bekannten Risikofaktoren (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Adipositas, generelle Immunschwäche, Anm.) einen schweren Covid-19-Krankheitsverlauf haben können und auch alte Menschen eine Erkrankung mehrheitlich überleben.

Fitte und unfitte Abwehr

Und leider, sagt Wiedermann-Schmidt, gebe es noch keine Möglichkeit, im Vorhinein festzustellen, wie gut die Immunabwehr gegen bestimmte Erreger ist. Hier müssen, was Sars-CoV-2 betrifft, Untersuchungen gemacht werden, was die Suszeptibilität betrifft, also die individuelle Empfindlichkeit und Empfänglichkeit eines Menschen für ein Virus.

Was sich allerdings schon abzeichnet: "Die Immunität, die man im Kindesalter aufbaut, ist sicherlich die nachhaltigste", ist sich Wiedermann-Schmidt sicher. "Deshalb setzen wir Immunologen uns ja auch so massiv für Impfungen ein, die im Kindesalter begonnen und lebenslang aufgefrischt werden sollten, um die erworbene Immunität auch im Alter zu halten." Ihr Engagement wird nach der bewältigten Krise deshalb nur noch stärker werden. (Karin Pollack, 10.4.2020)