In Corona-Zeiten finden auch europäische Spitzentreffen nicht physisch statt.

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Eine halbe Billion Euro: Eine Mischung aus Euro-Rettungsschirm (ESM), Krediten der europäischen Förderbank (EIB) und Mitteln der EU-Kommission für Kurzarbeit (Sure) lag auf dem Tisch. Einig wurden sich die Euro-Finanzminister nach 16 zähen Verhandlungsstunden doch nicht, am frühen Mittwoch kam die Nachricht, dass der Eurogipfel auf Donnerstag vertagt wurde.

Dem Vernehmen nach war man einer Einigung allerdings nahe. Der letzte strittige Punkt seien die Auflagen gewesen, die Länder erfüllen müssen, wenn sie unter den ESM schlüpfen. Die zuletzt hochgekochte Frage der Eurobonds, also gemeinsamer Euroanleihen, habe man vorerst aufgeschoben. Aber weil unterschiedliche Zeitungen Unterschiedliches vernommen haben, lohnt es nicht, zu sehr zu spekulieren. Man wird nach der für diesen Donnerstag anberaumten Sitzung mehr wissen.

Geht nicht (nur) um Geld

Ob eine Einigung diesmal gelingt oder nicht: Was inzwischen klar sein dürfte, ist, dass es nicht in erster Linie darum geht, wie viel Geld Italien und andere verschuldete Staaten zur Bekämpfung der Corona-Pandemie bekommen. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat ohnehin angekündigt, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen. Die Mittel, die Italien zusätzlich aus einem Euro-Hilfspaket bekäme, sind im Vergleich zu den EZB-Mitteln recht gering. Es geht um Grundsätzliches. Das lässt sich am Beispiel Italiens veranschaulichen.

So gebetsmühlenartig der italienische Premier Giuseppe Conte zuletzt betont hat, die Corona-Pandemie sei eine symmetrische Krise, die alle Euroländer in gleichem Maß befällt, so falsch ist die Aussage mit Blick auf die Staatsfinanzen. Manche Länder – besonders die, die bisher diszipliniert hausgehalten haben – können sich milliardenschwere Hilfspakete leisten. Also beispielsweise Deutschland, Österreich, die Niederlande.

Solvenzkrise droht

Anderen, und da gehört Italien dazu, droht eine Solvenzkrise, wenn sich die ohnehin schon drückende Schuldenlast weiter vergrößert. Ökonomen vom Münchner Ifo-Institut rechnen etwa damit, dass in Italien heuer ein Budgetdefizit von 9,2 Prozent im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung zu Buche stehen könnte. Für Spanien erwarten sie einen Wert von 8,2 Prozent. Der erlaubte Höchstwert liegt bei drei Prozent. Ratingagenturen werden genau beobachten, wie sich die Staatsfinanzen dieser Länder entwickeln. Und hohe Schulden bestrafen.

Zwar erwirtschaftete Italien seit 1991 fast jedes Jahr einen Primärüberschuss. Steigen die Staatsschulden jedoch sprunghaft an, wird das Land noch disziplinierter haushalten müssen. "Genau darin liegt das Problem", sagt Richard Grieveson, stellvertretender Leiter des Wiener Instituts für internationalen Wirtschaftsvergleich: "Italien wird sich überlegen, ob es im Euro bleiben will." Das Land riskiert nämlich einen Rechtsruck, wenn Geld für Investitionen etwa ins Bildungssystem oder das Gesundheitswesen fehlt. Matteo Salvini, der populäre Chef der rechten Lega, macht kein Hehl daraus, dass er sein Land lieber außerhalb der Eurozone hätte – und außerhalb der EU.

Matteo Salvini beschwerte sich am Donnerstag auf Twitter über einen Bericht der Zeitung "Die Welt". Diese hat geschrieben, dass in Italien die Mafia auf einen Geldregen aus Brüssel warte.

Politische Handlungsspielräume

Es geht Italien also auch darum, politischen und budgetären Handlungsspielraum zu behalten. Conte – im Übrigen auch der spanische Premier Pedro Sánchez – hat deshalb vehement auf Eurobonds gepocht, weil eine gemeinsame Anleihe nicht zur italienischen Staatsschuld gerechnet würde. Kredite aus dem Rettungsschirm allerdings schon. "ESM nein, Eurobonds definitiv ja", sagte Conte am Dienstag, kurz bevor die ergebnislose Marathonsitzung der Euro-Finanzminister begann.

Zu gemeinsamen Anleihen gab es aus Berlin, Den Haag und Wien ein kategorisches Nein. Eine Sache ist, dass die Umsetzung von Eurobonds ein juristischer Hürdenlauf und nur bei grundlegenden Gesetzesänderungen auf europäischer Ebene und in Mitgliedsstaaten möglich wäre, wie Experten mahnen. In manchen Ländern wären wohl Referenden nötig, um Eurobonds einzuführen. Die andere Sache ist, dass eine gemeinsame Haftung für die Politik einzelner Euroländer für viele ein rotes Tuch ist. Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) begründete sein Nein zu Eurobonds sinngemäß so: Im Extremfall müsste Österreich die Schulden Italiens begleichen, ohne bei der Politik Roms mitsprechen zu können.

Österreichs Finanzminister Gernot Blümel lehnt Eurobonds kategorisch ab.
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Roms Position vage

Ob Rom eine österreichische Haftung für italienische Schulden will? Tatsächlich blieb die italienische Forderung nach Eurobonds bis zuletzt zwar kategorisch – aber auch sehr vage. Weder hatte Conte einen Plan für die technische Umsetzung, noch ist ein kurzfristiger Einsatz im Kampf gegen die Pandemie realistisch, wenn es bereits Instrumente wie den ESM gibt, die zur Stelle sind.

Aber ein französischer Vorschlag, dem sich auch Italien anschloss, sieht einen gemeinsamen Topf der Euroländer vor, der durch Gemeinschaftsanleihen befüllt wird und – zeitlich befristet – zum Wiederaufbau Europas eingesetzt werden soll. Also Eurobonds ohne Vergemeinschaftung bestehender Schulden. Dieser Vorschlag ist, so hört man, nicht vom Tisch. Deutschland und Österreich sind grundsätzlich offen dafür. Beratungen sollen dem Vernehmen nach auf später verschoben werden, die Abschlusserklärung des Eurogipfels diesbezüglich möglichst vage bleiben.

Italien gegen Niederlande

Dass die Euro-Finanzminister dennoch keinen Kompromiss erzielt haben, zeigt, dass sich die tiefen Gräben zwischen den Lagern nicht auf die Frage der Eurobonds beschränken. Es geht grundsätzlich darum, in welchem Verhältnis die Euroländer zueinander stehen. Als Gläubiger und Schuldner? Oder als Partner?

Es gilt als sehr wahrscheinlich, dass in der Corona-Krise der Euro-Rettungsschirm aufgespannt wird. Die Mittel des ESM, der im Zuge der Eurokrise auf die Beine gestellt wurde, sind aber grundsätzlich nur gegen Auflagen verfügbar. In guter Erinnerung sind die harten Strukturreformen, die das hochverschuldete Griechenland im Gegenzug für Finanzhilfe umsetzen musste.

Der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra ging während des Videogipfels seine Unterlagen durch.
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Um die Auflagen für ESM-Gelder ging es auch beim Eurogipfel. Die Niederlande wollen auch in Zeiten der Pandemie keine ESM-Mittel ohne Strukturauflagen freigeben, etwa beim Pensionsantrittsalter oder im öffentlichen Sektor. Nur medizinische Kosten soll der ESM ohne Auflagen decken, twitterte der niederländische Finanzminister Wopke Hoekstra. Italien will Auflagen in jedem Fall vermeiden. Die Gründe sind oben beschrieben worden: politischer und budgetärer Spielraum. Aber man will auch das Stigma vermeiden, das mit dem Ansuchen um Hilfsmittel einhergeht.

Europäische Richtungsentscheidung

Überspitzt formuliert sind die Positionen also: Auf der einen Seite stehen diejenigen, die auf der strengen Einhaltung des bestehenden Regelwerks und rigoroser Haushaltsdisziplin beharren. Und dabei möglicherweise riskieren, dass die Währungsunion zerbricht, wenn es für Länder wie Italien politisch zu teuer wird, beispielsweise den ESM-Auflagen zu entsprechen. Gemeinsame Schulden kann es demnach nur bei gemeinsamer Fiskalpolitik geben – also wenn die Mitgliedsländer Souveränität in Richtung Europa abgeben.

Auf der anderen Seite stehen diejenigen, die sich eine gemeinsame Reaktion der Euroländer auf die Corona-Pandemie wünschen, aber nicht bereit sind, in das Korsett von Reformauflagen zu schlüpfen. Vor dieser Richtungsentscheidung steht Europa. (Aloysius Widmann, 9.4.2020)