Die vielen Pressekonferenzen von Türkis-Grün im Kanzleramt rund um das Coronavirus folgen einer Dramaturgie: Kurz muss sich als Regierungschef in der Krise oft blicken lassen, auch sein Vize Kogler.

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In Österreichs Wohnzimmern sind sie in diesen Tagen dauernd präsent – im Gegensatz zur lieben Verwandtschaft, die leider fernbleiben muss: Seit Ausbruch der Corona-Krise hält die türkis-grüne Regierungsriege tagtäglich eine Pressekonferenz nach der anderen ab, von A wie Ausgangsbeschränkungen bis Z wie Zeitpläne für eine Lockerung des Lockdowns. Wenn Kurz, Kogler und Co im Kanzleramt vor die Medien treten, starren zeitgleich Abertausende auf ihre Bildschirme, um die neuen Botschaften zur Eindämmung des Virus mitzuverfolgen – Änderung dieses Politbetriebs vorläufig nicht in Sicht.

Exakt 48 Pressekonferenzen hielt das Kabinett II von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) seit 27. Februar bis zum Karfreitag ab. Nicht nur die Zeit im Bild-Sendungen des Öffentlich-Rechtlichen verzeichnen seitdem Rekordzuwächse an Zusehern bis spät in die Nacht. "Uns ist bewusst", sagt Kurz' Sprecher Johannes Frischmann, "dass die Krise achteinhalb Millionen unterschiedliche Emotionen auslöst". Darum setze die Regierung alles daran, "ein geordnetes Bild" zu vermitteln und die Bevölkerung "rasch, regelmäßig und transparent" über neue behördliche Auflagen, den Stand der Lage sowie Hilfsmaßnahmen zu informieren.

Penibel eingetaktet

Frischmann ist jener Vertraute des Kanzlers, der die Pressekonferenzen terminlich eintaktet. Die Minister melden ihre Neuigkeiten im Zuge des Krisenmanagements ein, er koordiniert mit Vizekanzler Werner Koglers Sprecherin Gabi Zornig, wann und in welcher Formation aufgetreten wird – und zwar stets vor demselben neutralen Hintergrund, nur die rot-weiß-roten Fahnen der Republik und die blauen EU-Flaggen flankieren die Regierungsmitglieder von ÖVP und Grünen.

Mit den stetig strenger werdenden Maßnahmen rückten die Koalitionäre für die Öffentlichkeit gut sichtbar auch weiter auseinander, seit kurzem trägt man beim Einmarsch zu den Stehpulten im Kongresssaal auch Mund-Nasen-Schutz und referiert hinter Plexiglas.

Natürlich mehren sich mit zunehmender Frequenz an Auftritten auch Unstimmigkeiten mit Gesagtem. Zuerst heißt es Massentests, dann doch nicht möglich; als Nächstes Masken zur Gratisentnahme in Supermärkten, dann haben nicht wenige doch ihren Preis – und, und, und.

Die Fachminister referieren über das Krisenmanagement ihrer Ressorts – zur Beruhigung stets vor weißem Hintergrund mit Fahnen. Im Bild Innenminister Nehammer (ÖVP, links) und Gesundheitsminister Anschober (Grüne, rechts).
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Deswegen forderte FPÖ-Chef Norbert Hofer schon Ende März: "Hörts auf mit den PKs!", im Politjargon das gängige Kürzel für das Abhalten von Pressekonferenzen. Doch betreibt die Koalition in der Krise tatsächlich vor allem "Marketing, Marketing, Marketing", wie der Blaue argwöhnt?

Selbst kritische Geister bei den Grünen weisen das zurück: "Okay, manchmal sind vier Minister bei einem Termin übertrieben", sagt eine, zwei würden auch reichen, aber immerhin befinde sich das Land in der heftigsten Krise der Zweiten Republik.

Mit ihren täglichen Pressekonferenzen folgt die Regierung offensichtlich dem Pandemieplan aus dem Jahr 2004, der angesichts der Vogelgrippe erstellt wurde. "Die Möglichkeit des Auftretens einer Influenza-Pandemie ist derzeit so hoch einzuschätzen wie noch nie seit 1968", schrieb die damalige Gesundheitsministerin Maria Rauch-Kallat (ÖVP). Trotz aggressiver Viren in den Jahren danach – "Schweinegrippe", Influenzawelle im Winter 2017 – dauerte es bis zum Coronavirus, bis die Notfallpläne zum Einsatz kamen.

Probleme kein Tabuthema

Zu lesen ist in dem Pandemieplan, dass "tägliche Berichte der Nachrichtenlage an die Presse" erfolgen sollten. Informiert werden möge auch über "Probleme und Engpässe", die Kommunikation müsse "ehrlich" erfolgen. Wichtig sei auch die "mediale Vorbereitung der Menschen auf eine eventuelle weitere Welle".

Diese Empfehlungen wurden unter anderem in einem "Zukunftsforum" der Weltgesundheitsagentur (WHO) diskutiert, das 2004 in Island "hochkarätige Entscheidungsträger" versammelte. Zur österreichischen Strategie bei der Vogelgrippe hieß es, dass "das Prinzip der einen Stimme in der Krise von Wert sein kann". Das "mag aber nicht immer realistisch sein", etwa wenn Wissenschafter und Politiker uneins sind. Interviews sollten "vorzugsweise direkt übertragen und nicht aufgezeichnet werden, damit eine Wiedergabe im falschen Zusammenhang vermieden wird".

Die internationalen Experten waren sich schon vor eineinhalb Jahrzehnten einig, dass man "zum frühestmöglichen Zeitpunkt der Krise mit der Öffentlichkeitsarbeit beginnen" solle, "da Informationen an sich schon beruhigend wirken", sogar wenn sie von Risiken handeln.

Und wann diese ein Ende nehmen wird, ist derzeit nicht absehbar. "Normale Krisen, die wir betreuen, flauen für gewöhnlich nach sieben Tagen ab und verschwinden aus dem öffentlichen Interesse", sagt Alfred Autischer, dessen Firma Gaisberg auch Krisenkommunikation anbietet. Das Coronavirus hingegen fülle seit Wochen zur Gänze die Nachrichtensendungen und Zeitungen. Auch für Krisenkommunikatoren sei daher eine neue Zeit angebrochen.

Kanzler in Krise gefragt

In den ersten zwei Wochen der drastischen Maßnahmen sei der Pressekonferenzen-Marathon wichtig gewesen, "weil es sehr, sehr viele Fragen gegeben" habe, so Autischer. Die Präsenz der Regierungsriege in oftmaliger Viererkonstellation habe Einigkeit in der Koalition und Bestimmtheit in der Sache signalisiert. Die Bevölkerung konnte sich darauf verlassen, auf dem Laufenden gehalten zu werden. Die hohe Kunst dabei sei es, "nichts zu versprechen, was man nicht halten" könne.

Auch dass Kanzler Kurz in den vergangenen Wochen besonders häufig auftrat, qualifiziert Autischer als angebracht, weil: "Sehr weitreichende Entscheidungen für jeden Einzelnen wurden getroffen." Da brauche es als ersten Mann den Kanzler. Dazu vermutet Autischer, dass sich die Bevölkerung über den Ernst der Lage nicht bewusst geworden wäre, wenn sich der Kanzler zurückgenommen hätte.

"Das war bisher insgesamt sehr professionell gemacht und hat im Großen und Ganzen vertrauensbildend gewirkt", sagt der PR-Berater Stefan Sengl.
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Ebenfalls Krisenkommunikation im Angebot hat die Skills Group von Stefan Sengl. Auch er stellt der Regierung ein gutes Zeugnis aus: "Das war bisher insgesamt sehr professionell gemacht und hat im Großen und Ganzen vertrauensbildend gewirkt, was man nicht zuletzt daran erkennt, dass die Zustimmungswerte aller Beteiligten in die Höhe gingen." Das habe nicht nur mit der ständigen Präsenz allein zu tun, denn: "Aufgebautes Vertrauen kann man schnell wieder verspielen."

Mittlerweile will man den Aufmarsch von gleich vier Regierungsmitgliedern reduzieren, damit sollen die Fachminister verstärkt in den Fokus rücken. "Eine vernünftige Entscheidung, um einen Sättigungseffekt zu vermeiden", befindet Sengl – die täglichen Pressekonferenzen brächten aber sehr wohl ein Stück Normalität mit sich. Soweit das in Zeiten wie diesen überhaupt möglich ist. (Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, Nina Weißensteiner, 10.4.2020)