Deutschland: Als die Kanzlerin das Ruder übernahm

Es dauerte ein wenig, ehe Angela Merkel in der Öffentlichkeit zur Corona-Krisenkanzlerin wurde. Zunächst überließ sie ihrem Gesundheitsminister Jens Spahn die Bühne. Dieser hielt in der Bundespressekonferenz – dem Gremium, in dem sich die politischen Journalisten in Deutschland organisieren – ab dem 27. Februar vier Pressekonferenzen ab, ehe er ab dem 11. März in den Hintergrund geriet: An diesem Tag nämlich nahm Merkel die Fäden in die Hand. Zuvor hatte die "Bild"-Zeitung das Schweigen der Kanzlerin angeprangert. Zehnmal informierte die Regierungschefin seither die Medien, zweimal davon per Telefonkonferenz aus dem Homeoffice, da sie sich nach Kontakt mit einem infizierten Arzt in häusliche Quarantäne begeben hatte. Hinzu kam ein Auftritt mit Seltenheitswert: Am 18. März wandte sie sich erstmals seit ihrem Amtsantritt 2005 in einer TV-Ansprache an die Deutschen.

Das passiert sonst nur zu Neujahr. Dementsprechend groß fiel das Interesse aus, 25 Millionen waren dabei. Merkel schwor die Bevölkerung auf harte Zeiten ein und appellierte eindringlich an sie, zu Hause zu bleiben. Die Deutschen sind derzeit von der Arbeit der Regierung so angetan wie noch nie in dieser Legislaturperiode. 63 Prozent geben im ARD-Deutschlandtrend an, zufrieden zu sein, das sind 28 Punkte mehr als in Vor-Corona-Zeiten. In den Umfragewerten der Forschungsgruppe Wahlen legte die Union zwischen 6. und 27. März um sieben Punkte zu, was der höchste Anstieg ist, der je gemessen wurde. Am Wochenende will sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Fernsehansprache an die Deutschen wenden. (bau)

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Großbritannien: Die sehr spät hingelegte Vollbremsung

In Großbritannien herrschte lange ein Mangel an öffentlichen Informationen, der zwei Ursachen hatte: Zum einen hatte Premierminister Boris Johnson nach dem anstrengenden Brexit-Wahlkampf öffentliche Auftritte und Medieninterviews stark reduziert. Zum anderen galt das Verdikt seines Chefberaters Dominic Cummings, wonach Regierungsvertreter Gespräche mit der BBC boykottieren sollten – dem öffentlich-rechtlichen Sender wurde angebliche Parteilichkeit im Wahlkampf vorgeworfen. Der Krisenstab Cobra beschäftigte sich am 2. März erstmals mit Sars-CoV-2 – obwohl die erste Infektion bereits Ende Jänner gemeldet worden war. Auf dieser Pressekonferenz umgab sich Johnson mit zwei Wissenschaftern: dem höchsten Gesundheitsbeamten Englands, Christopher Whitty, und dem Wissenschaftsberater Patrick Vallance. Sie oder ihre jeweiligen Stellvertreterinnen sind seither bei jeder Medienunterrichtung durch Minister anwesend. Öffentliche Auftritte der Regierung blieben aber Mangelware. Bis dahin hatte sie mit ihrer Strategie darauf gesetzt, dass Menschen schnell eine Immunität gegen Covid-19 erlangen würden.

Am 16. März legte die Regierung eine Kehrtwende hin und verschärfte die Maßnahmen. Seither hält sie eine tägliche, mittlerweile virtuell stattfindende Pressekonferenz ab, an der auch die BBC teilnimmt. Am 23. März wandte sich der Premierminister in einer kurzen TV-Ansprache an die Nation und verkündete den Lockdown. Yougov ermittelte Ende März Zustimmung von mehr als 90 Prozent zu den neuen Ausgangsbeschränkungen und deutlich gestiegene Sympathiewerte für Johnson und seine Minister. (sbo)

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USA: Ein Krisenmanagement wie eine Realityshow

Donald Trump zählte zu Beginn der weltweiten Ausbreitung des Coronavirus zu jenen Staats- und Regierungschefs, die ebendieses nicht als Gefahr verstanden. Zwar verbot der US-Präsident bereits Ende Jänner Ausländern, die sich 14 Tage zuvor in China aufgehalten hatten – wo das Virus seinen Anfang nahm –, die Einreise. Es dauerte jedoch, bis weitere Maßnahmen folgten. Am 28. Februar starb in den USA der erste Mensch infolge einer Covid-19-Erkrankung. Am 13. März rief Trump den Notstand aus. Seither veranstaltet er täglich eine Pressekonferenz. Meist wird er flankiert von Anthony Fauci, dem angesehensten Virologen des Landes, der Wissenschafterin Deborah Birx, die das Fachliche koordiniert, oder Surgeon General Jerome Adams, eine Art Oberarzt der Nation. Abgesehen von dem Stamm-Trio legt Trump Wert darauf, das Personal, das mit ihm das Rampenlicht teilt, auszutauschen.

Deshalb sprechen Kritiker von einer Fernsehserie mit immer neuen Fortsetzungen, die eher Verwirrung stifte, als Klarheit zu bringen. Zu beobachten ist ein Krisenmanager, der gelobt werden möchte und rabiat austeilt, wenn Journalisten sein Handeln kritisch hinterfragen. Statt konsequent den Schulterschluss mit der Opposition zu üben, kann Trump es nicht lassen, die Krise durch die Brille des Wahlkämpfers zu sehen. Die erste Märzhälfte hatte Trump davon profitiert, dass die Mehrheit den Commander-in-Chief in einer akuten Notlage reflexartig unterstützt. Aktuell sind 52 Prozent der Amerikaner nicht einverstanden mit der Art, wie sich ihr Präsident in der Epidemie verhält, während 45 Prozent für richtig halten, wie er agiert. (fh)

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Foto: Reuters/Lamarque

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Italien: Mit Verzögerung zum Krisenmanager

Ministerpräsident Giuseppe Conte hat seit Ausbruch des Coronavirus in Italien am 20. Februar nicht nur allmählich das ganze Land, sondern auch sich selbst unter Quarantäne gestellt – zumindest was seine Kontakte mit den Medien betrifft. Die ersten drei von bisher 13 Pressekonferenzen fanden noch in Anwesenheit von Journalisten statt, die restlichen zehn nur noch via Videoübertragung. Eine handverlesene Schar von Journalisten darf sich zuschalten, aber auch so sind die Veranstaltungen meist nicht anderes als Monologe Contes. In der Bevölkerung hat Conte dennoch an Beliebtheit gewonnen. Laut Umfragen ist das Vertrauen in den Premier von 32 Prozent am 5. März auf 50 Prozent in der ersten Aprilwoche gestiegen. Ihm gelang es, mit fachlicher Untermauerung der Regierungsentscheide die Kritik an den einschneidenden Maßnahmen und auch an gelegentlichen Informationspannen weitgehend zum Verstummen zu bringen. Die Kommunikation zur Epidemie als solche überlässt Conte den Experten und dem nationalen Zivilschutzchef: Die Bekanntgabe der täglichen Fallzahlen durch Angelo Borrelli jeweils um 18 Uhr sind zu einem festen Teil des täglichen Lebens der sich im Lockdown befindenden Nation geworden.

Im von der Pandemie besonders stark betroffenen Italien trugen Politiker auf nationaler und regionaler Ebene die ersten Maßnahmen zu Beginn teilweise nur zögerlich mit, einige konterkarierten sie sogar. Premier Conte weitete die Aktionen im Kampf gegen das Virus schrittweise auf das gesamte Land aus. Heute stoßen sie insgesamt auch in den Regionen auf breite Akzeptanz. (straub)

Foto: EPA/Attili

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Israel: Der Feldherr in der Corona-Schlacht

Abends, wenn auch die Bauarbeiter und Supermarktkassierer wie alle anderen wieder zu Hause sind, spricht im Primetime-Fernsehen ein Mann zu ihnen, dessen Stimme so vertraut ist wie nur wenige. Es ist Benjamin Netanjahu, seit 32 Jahren Politiker, seit einem Jahr Übergangsregierungschef des Landes. Im Kampf gegen das Coronavirus hat Israel sehr früh drastische Maßnahmen ergriffen. Am 22. Februar, einen Tag nach dem ersten Fall, wurden erste Maßnahmen gesetzt. Seit den Tagen nach der Wahl, also seit Anfang März, nutzt Premier Netanjahu Sendezeit, um seine Botschaft zu platzieren. Und die lässt sich im Grunde auf drei Wörter reduzieren: Krieg, gemeinsam, siegen. Es ist Krisen-PR wie aus dem Lehrbuch, maßgeschneidert für einen Staat, der seit seiner Gründung um seine Weiterexistenz bangt, und für ein Volk, das die Angst vor Vernichtung seit Jahrhunderten kennt.

Die PR zeigt Wirkung. Seine Partei Likud, die bei der Wahl vor etwas mehr als einem Monat noch 36 Mandate erreicht hatte, käme laut Umfragen jetzt auf 42 Sitze im Parlament. Der Höhenflug in den Beliebtheitswerten ist Ergebnis einer geschickten PR-Strategie. So ist es nicht der Gesundheitsminister, der sich als oberster Kommunikator der sich ständig ändernden Richtlinien vor die Kameras stellt, sondern Netanjahu. Wenn etwas nicht funktioniert, ist es jedoch der Gesundheitsminister, der den Kopf hinhalten muss. Derzeit gibt es aber nur wenige, die Netanjahus PR kritisch hinterfragen würden. Wahlsieger Benny Gantz hat sich quasi über Nacht vom Widersacher zum Koalitionspartner in spe gewandelt. (sterk)

Foto: EPA/Tibbon

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Frankreich: Wo die Regierung nicht überzeugt

In Paris mangelt es nicht an offiziellen Medienauftritten – allerdings auch nicht an Kritik daran. Frankreichs Gesundheitsminister Olivier Véran sowie zahlreiche Fachspezialisten treten seit dem 17. März jeden Abend vor den TV-Nachrichten ans Publikum. Seit diesem Tag ist eine Ausgangssperre für ganz Frankreich in Kraft getreten. Tags zuvor hatte Präsident Emmanuel Macron sie verkündet, außerdem ordnete er die Schließung der Schulen an und erklärte, Frankreich befinde sich "im Krieg". Es war das zweite von bislang insgesamt drei Malen, dass sich der Präsident im Fernsehen an die Nation wandte. Dabei machte er allerdings keine gute Figur: Macron sprach dramatisierend von "Krieg", vergaß aber den zentralen Begriff seiner Ankündigung: "confinement", eben die Ausgangssperre.

Zu diesem Zeitpunkt zählte Frankreich laut der Weltgesundheitsorganisation WHO bereits mehr als 6.500 Coronavirus-Infizierte und über 140 Covid-19-Tote. Zwei Tage zuvor hatte die Regierung dennoch – unter lauter Kritik – Gemeinderatswahlen abhalten lassen. Die damalige Gesundheitsministerin Agnès Buzyn erklärte nach der Wahl, sie habe Premierminister Édouard Philippe schon am 30. Jänner informiert, dass der Urnengang "nicht durchführbar" sei. Inzwischen sind mehrere Bürgermeister an oder mit Covid-19 gestorben.

Auch Philippe ist so medienpräsent wie Macron. All diese medialen Bemühungen spiegeln sich allerdings nicht in den Meinungsumfragen wider. Im Gegenteil, 70 Prozent der befragten Franzosen sind überzeugt, dass ihnen die Staatsführung "nicht die Wahrheit sagt". (brä)

Foto: EPA/Marin