Sars-CoV-2 könnte auch ins Gehirn wandern und dort den Verlust des Geruchssinns verursachen.

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Covid-19 verbinden die meisten von uns mit Symptomen wie trockenem Husten, Fieber oder in schweren Fällen Atembeschwerden. Doch mehr und mehr stoßen Forscher auf ein ungewöhnliches Symptom: In diversen Umfragen berichtete ein Teil der Erkrankten, den Geruchs- und Geschmackssinn verloren zu haben. Im Gegensatz zu ähnlichen Infektionen wie Erkältung und Grippe verlieren die Betroffenen die Riechfähigkeit sehr plötzlich und nahezu vollständig.

"Es gibt eine ganze Reihe von Berichten, denen zufolge Covid-19-Patienten eine Riechstörung haben", bestätigt der Mediziner Thomas Hummel von der Medizinischen Fakultät der TU Dresden. Hummel gehört dem Global Consortium for Chemosensory Research an, das herausfinden will, ob der Geruchsverlust wirklich ein häufiges Covid-19-Symptom ist und, wenn ja, was das für die Patienten bedeuten könnte. Bislang basieren die Berichte mit wenigen Ausnahmen auf Patientenbefragungen, die mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind. Denn in solchen Befragungen würden Symptomatiken durchaus manchmal übertrieben, so Hummel. "Gleichwohl legen die Daten nahe, dass Menschen mit Covid-19 eine Riechstörung haben, die auch stärker zu sein scheint als bei anderen Erkrankungen der oberen Atemwege."

Geschädigte Riechzellen

Es gibt verschiedene Wege, auf denen das Virus das Riechen beeinträchtigen könnte. Eine Möglichkeit: Sars-CoV-2 könnte auf die Riechzellen in der Nase einwirken und sie beeinträchtigen. Die Geruchsrezeptoren der Riechzellen machen es möglich, dass wir eine Vielzahl von Gerüchen aufnehmen und unterscheiden können. "Aus der Erfahrung mit anderen viralen Infekten der oberen Atemwege gibt es Hinweise, dass diese die Riechzellen schädigen", sagt Hummel. "Und auch bei Sars-CoV-2 gibt es Hinweise, dass er ganz früh an Riechzellen andockt und sich in die Zellen einschleust."

Möglicherweise könnte das Coronavirus aber auch ins Gehirn vordringen. "Ich halte das für sehr wahrscheinlich", sagt Matthew Anderson, Neuropathologe am Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston. "In Tiermodellen für Atemwegsinfektionen dringen in die Nasenhöhlen eingebrachte Viren in das Gehirn dieser Tiere ein. Auch Polioviren und Masernviren gelangen ins Gehirn", ergänzt Hummel. Das sei also an sich nichts Ungewöhnliches.

Doch wie genau sähe eine solche "Invasion" ins Gehirn aus, und welche Folgen hätte sie? "Im Falle des neuen Coronavirus könnte der Virus den Riechkolben und damit den vorderen Teil im Gehirn beeinträchtigen", sagt Hummel. In einer Studie kam der Immunologe Stanley Perlman von der Universität von Iowa zu dem Ergebnis, dass Sars-CoV – das Virus, das 2002/03 den Sars-Ausbruch verursachte – über den Riechkolben in die Gehirne von Mäusen gelangte. Eine Beeinträchtigung des Riechkolbens passt gut zu dem beobachteten Riechverlust von Covid-19-Patienten. Denn im Riechkolben im Gehirn laufen die Nervenfasern der Riechzellen zusammen. Von dort werden die Geruchsreize den verschiedenen Gehirnzentren übermittelt, in denen die Gerüche bewusst wahrgenommen werden.

Teil der Atemprobleme

"Denkbar wäre auch, dass das Virus auch andere Teile des Gehirns wie die Medulla Oblongata des Hirnstamms befällt und schädigt", erklärt Hummel. Dort liegen Zentren für die Regulierung der Atmung und des Blutkreislaufs. Sollten tatsächlich Zellen in der Medulla Oblongata im Hirnstamm geschädigt werden, könnte das auch einen Teil der Atemprobleme der Corona-Patienten erklären. Genau dafür argumentiert Yan-Chao Li von der Universität Jilin in China gemeinsam mit Kollegen in einem kürzlich im "Journal of Medical Virology" erschienenen Übersichtsartikel. Sie verweisen unter anderem auf Infektionen des Hirnstamms in Tierversuchen mit Sars-CoV.

Aber natürlich müssen solche Hypothesen erst noch durch harte wissenschaftliche Fakten bestätigt werden. Denn dafür müssen die Gehirne von verstorbenen Covid-19-Patienten unter die Lupe genommen werden. Wenn überhaupt, werden bislang nur selten Autopsien an diesen Patienten durchgeführt. Und selbst wenn, ist es unwahrscheinlich, dass die Pathologen neben der Lunge auch noch das Gehirn untersuchen. Sie denken bislang einfach nicht, dass das Gehirn der Ort des Problems sein könnte.

Ein Segen

Gleichwohl sehen Forscher die Riechstörungen schon jetzt als wichtige Informationsquelle an. Der Geruchsverlust könnte sogar ein Segen für die Bekämpfung der Seuche sein. Denn bekanntlich treten auch bei Menschen, die mit dem Coronavirus infiziert sind, nicht immer Symptome auf. Das sieht auch Thomas Hummel so. "Eine wichtige Frage ist, ob der Riechverlust als Symptom in der frühen Diagnostik eine Rolle spielen könnte", sagt er. "Etwa bei Patienten, die noch keine anderen Symptome zeigen."

Wer nun angesichts von Problemen beim Riechen sofort an eine Corona-Infektion denkt, den kann Hummel zumindest in Teilen beruhigen. Eine Riechstörung sei nicht gleichbedeutend damit, dass man das Coronavirus habe. "Denn rund fünf Prozent der Bevölkerung können auch ohne eine Virusinfektion nicht riechen." Und es gibt noch eine beruhigende Nachricht: Oftmals funktioniert das Riechen schon binnen Tagen nach der Infektion wieder. Das spricht eher für eine kurzfristige Beeinträchtigung des Riechsystems als für langfristige Schäden. (Christian Wolf, 15.4.2020)