Vor genau 75 Jahren wurde in Wien erbittert gekämpft. Am 13. April hatte die Rote Armee die Hauptstadt erobert. Es ging nun darum, aus dem Chaos und den Trümmern irgendwie der Bevölkerung das Überleben zu ermöglichen und Österreich neu zu bauen.

Diese Erinnerung ist ganz nützlich, um den Ausspruch von Sebastian Kurz, wir stünden vor der "größten Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg", in eine Relation zu setzen.

Damit soll die Corona-Krise nicht verharmlost werden. Es handelt sich um eine Pandemie, und man muss nicht bis zur Pest des Mittelalters zurückgehen, wo mit 25 Millionen etwa ein Drittel der Bevölkerung Europas starb, um die Dimensionen zu erkennen: 1896 trat noch einmal die Pest auf und forderte weltweit zwölf Millionen Tote. Die Spanische Grippe 1918–20: 50 Millionen. Die Asiatische Grippe von 1957: ein bis zwei Millionen. Die Hongkong-Grippe von 1968: eine Million. Das aktuelle Virus hat bisher "nur" 95.000 Tote gekostet, hat/hatte aber das Potenzial zu einer Katastrophe, weil es viel ansteckender ist als die Grippe und es vorläufig kein Medikament und keine Impfung gibt.

Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Aus diesem Grund war auch der todernste Ton angebracht, den Kanzler Kurz anschlug, weil (wahrscheinlich) nur so eine entsprechende Compliance der Bevölkerung für den Lockdown zu erreichen war. Inzwischen ist aber es Zeit für einen anderen Diskussionsstil.

Hinterfragbares

Kurz liebt harmlose Befragungen durch "das Volk" im Fernsehen und gibt sich sonst unhinterfragbar-autoritär.

Es gäbe aber genug Hinterfragbares. Er hat bei den Masken, der Notwendigkeit massenhafter Tests und bei der Handy-Überwachung ("Stopp Corona"-App") zuerst das eine, dann das andere gesagt. Er schasselt jeden ab, der seiner Message-Control widerspricht, seien es nun Public-Health-Wissenschafter oder Juristen. Es sollte möglich sein, zwischen (auch medizinisch ausgebildeten) Verharmlosern und Leuten mit den richtigen Fragen zu unterscheiden. Die Entscheidungsgrundlagen der Regierung sind intransparent, und manchmal hat man den Eindruck, als würde manchen Türkisen der Ausnahmezustand Spaß machen.

Die Regierung und speziell Kurz werden sich daher jetzt einer schärferen öffentlichen Diskussion durch eine kritische Öffentlichkeit, seriöse Medien inklusive, stellen müssen. Der Verkündigungsstil, das peinliche Sykophantentum (Radio Wien lässt die Kleinen "unseren Bundeskanzler" zeichnen) wird kontraproduktiv. Die vorgefertigten Textbausteine mancher türkiser Minister(innen) reichen nicht mehr aus. Ja, wir sind mit einer gewaltigen Herausforderung konfrontiert, und man muss anerkennen, dass die meisten Regierungsmitglieder sich der Last der Verantwortung offenbar bewusst sind.

Nach den Appellen an die Disziplin muss mehr Argumentatives kommen, zunehmend in der Wirtschaftspolitik. Bis jetzt hat es ein klassisches Programm zur Aufrechterhaltung der Liquidität gegeben. Unternehmen und Private werden mit Staatsgeld geflutet. Was ist der nächste Schritt? Gibt es dazu öffentlich diskutierbare Expertenmeinungen, oder werden die auch wieder der Message-Control unterworfen? (Hans Rauscher, 11.4.2020)