Im Gastkommentar tritt der "Addendum"-Geschäftsführer dafür ein, dass die GIS-Gebühr nicht nur dem ORF, sondern auch anderen Qualitätsmedien zugutekommt.

Das Monatsmagazin "Datum" veröffentlichte in seiner aktuellen Ausgabe Statements von 25 Persönlichkeiten zum derzeitigen Ausnahmezustand. Barbara Coudenhove-Kalergi etwa antwortete auf die Frage "Wie verändert dieses Ereignis die Rolle und Funktion Ihres angestammten Berufstands?": "In den letzten Wochen haben die Leute erkannt, was sie an Qualitätsmedien, vor allem dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk haben. […] Der Ruf nach Abschaffung der ORF-Gebühren (‘Zwangsgebühren’) ist leiser geworden. Wenn die Krise vorbei ist, wird der seriöse Journalismus einer der Gewinner sein."

Was die Info-Abteilung des ORF produziert, ist wichtig, aber es ist nicht alleine ausreichend.
Foto: APA / Hans Punz

Ich greife dieses Statement anekdotisch heraus, weil es erstens aus einem Qualitätsmedium stammt und jetzt als Zitat in einem Qualitätsmedium erscheint, die beide eher nicht zu den Krisengewinnern zählen werden, und weil es zweitens eine Befindlichkeit schön zusammenfasst und reflektiert, auf die ich in den letzten Wochen nicht nur wiederholt gestoßen bin, sondern die ich durchaus auch in manchen Aspekten teile. Bei genauerer Betrachtung gibt es einige Thesen, die in dieser Gefühls- und Meinungslage (für strammere Ideologen: Haltung) verpackt sind. Im Folgenden Thesen zur aktuellen Wahrnehmung des Journalismus.

These 1 – Die Leute entwickeln eine neue Wertschätzung für Qualitätsjournalismus. Sie erkennen dessen Wichtigkeit, nicht nur in der Abgrenzung zu Falschinformation, sondern auch in Skepsis gegenüber politischen Entscheidungen. Diese Hoffnung teile ich. Es geht in dem Fall für manche – sei Dank nur wenige – wirklich um Leben und Tod, aber die Gefährdung für die Gesundheit und die Einschränkung der Grundrechte trifft tatsächlich alle. Eine nachhaltige persönliche Notwendigkeit nach ideologiefreier Information müsste propagieren – von breiter Durchsetzung kann freilich trotzdem keine Rede sein.

Diese Wahrnehmung wird – wie auch die folgende These – durch eine Umfrage des Gallup-Instituts gestützt.

These 2 – Der ORF ist im Ausnahmezustand in der Reihe der Qualitätsmedien vorne angesiedelt. Aber er erfüllt diese Aufgabe nicht alleine. Es ist das gemeinsame Regulativ einer pluralistischen Medienlandschaft, das auch die Qualität des ORF zu sichern hilft. Was die Info-Abteilung des ORF produziert, ist wichtig, um ein kohärentes Bild der politischen Maßnahmen über den Zeitverlauf zu kommunizieren, aber es ist nicht alleine ausreichend. Der ORF erreicht fast 40 Prozent der unter 30-Jährigen gar nicht. Außerdem liegt das dem ORF zur Verfügung stehende Budget weit über dem der Marktbegleiter.

Was aber auch durch diese Krise sichtbar wird: die sonstigen Leistungen des ORF in Sport, Unterhaltung, Religion, usw. usf. sind entbehrlich und können zur Meisterung der Pandemie nichts beitragen, was nicht durch andere Medien ebenso gut abgedeckt wäre.

These 3 – Jetzt ist nicht die Zeit für Kritik an der GIS. Diese Einschätzung beruht auf einer gehörigen Schieflage der Wahrnehmung des ORF in seiner Funktion als staatsnaher Nachrichtensender. Sie fokussiert auf die journalistische Leistung und (punktuell auch kritische) Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Medienhauses, also die Information, die zwar einen wichtigen, aber dennoch nur einen Teil der Organisation ausmacht. Außerdem wird die Finanzierung diskussionslos an die Einhebung von Pflichtgebühren gekoppelt. Ein klassisches Strohmannargument. Man kann die GIS nämlich auch als überholt qualifizieren ohne die Finanzierung durch die Allgemeinheit in Frage zu stellen. Dass es modernere, treffsicherere und elegantere Modelle gibt, habe ich unter anderem hier ausgeführt.

These 4 – Der seriöse Journalismus wird zu den Krisengewinnern zählen. Das bleibt zu hoffen. Dass die Nachfrage nach Neuigkeiten, Einordnung, Daten und Theorien über und durch Covid-19 bereits massiv gestiegen ist, wundert niemand, der deswegen seit fast einem Monat zu Hause sitzt. Aber um dieses Angebot auch bereit stellen zu können, muss das ökonomische Ende passen. Und da wird es schwierig, denn von Wertschätzung können sich Medienhäuser nur dann Gehälter leisten, wenn Werbetreibende oder Seher, Hörer und Leser selbst zur Finanzierung beitragen. Damit sieht es aber düster aus. Existenzbedrohliche Umsatzrückgänge werden gemeldet, Kurzarbeit wird zum Alltag. So wird das kein nachhaltiger Krisengewinn, sondern zu einer weiteren Konzentration des Marktes führen.

Gebühren und Sonderförderungen

Die Situation für fast alle Medien in Österreich neben dem ORF ist schwierig. Alexander Wrabetz beklagt zwar einen jährlichen Umsatzrückgang von fünf Prozent, aber von solchen Einstelligkeiten können Tageszeitungen nur träumen, die aktuell Ausfälle von 70 Prozent und mehr berichten. Während der ORF den Einnahmenentgang mit Kurzarbeit kompensiert und Externen eine Zeit lang keine Aufträge gibt, werden andere – auch große Medienhäuser –, vielleicht um ihr Überleben kämpfen müssen – trotz Mediensonderförderungen. Auf die Analyse dieses unzureichenden, weiter verzerrenden Flickwerks, verzichte ich hier zu Gunsten eines Gedanken, der über kurzfristige Maßnahmen hinausgeht.

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass die österreichische Medienlandschaft in toto in der Lage ist, einen mehr oder weniger guten Job zu machen. Das kann man selbstverständlich auch viel kritischer sehen, aber nehmen wir das einmal als Prämisse Eins. Herausgehoben wird aus dem Reigen der Leistungsträger aber praktisch nur der ORF, der naturgemäß wesentlich mehr Ressourcen zur Verfügung hat, über mehr und direktere Zugänge zu Politik und Experten verfügt und auch mehr produziert. Innerhalb des ORF werden diese Leistung von der Informationsabteilung erbracht, die in der Rechtfertigungswahrnehmung pars pro toto für das ganze Unternehmen steht. Das heißt, etwas mehr als ein Drittel des ORF dient als Begründung dafür, dass die Allgemeinheit mit verpflichtenden Gebühren den Rest mitfinanziert und damit zur einer marktverzerrenden Stellung beiträgt, die sich gerade in der Krise noch schiefer neigt. Gehen wir weiters davon aus (Prämisse Zwei), dass eine verpflichtende Finanzierung von öffentlich-rechtlichem Public Value weiter erwünscht ist.

Verteilt die GIS unter den Bedürftigen

Wäre es nicht denkbar, dass die GIS-Gebühr (oder noch besser: eine zeitgemäße Mittelaufbringung) dem ORF weiter die Informationsabteilung inklusive Gemeinkostenanteil finanziert, das freiwerdende Budget aber zukünftig den ohnehin unter Druck stehenden, aber ebenso wichtigen anderen Qualitätsmedien für gleichwertige journalistische Anteile zu Gute kommt? (Selbstredend wäre das frühestens ab dem Zeitpunkt Herdenimmunität in Angriff zu nehmen.)

Das führt nicht nur dazu, dass der ORF in seinem Unterhaltungsangebot einem schärferen Mitbewerb ausgesetzt ist, der dem ganzen Markt gut tut, sondern viel wichtiger: Dieses Vorgehen würde dazu beitragen, eine pluralistische Medienlandschaft im qualitätsjournalistischen Bereich abzusichern. (Übrigens eine Forderung, die ich auch aufstellen kann, ohne für das arbeitgebende Unternehmen davon profitieren zu wollen.) Eine moderne Medienförderung sollte ihre Mittel – egal ob aus Gebühren, Umlagen, Abgaben oder Steuern – nicht auf einen einzigen Marktteilnehmer konzentrieren, wie es derzeit geschieht. Wer jetzt die Wichtigkeit des ORF betont und dafür in Kauf nimmt, dass der Rest des Marktes dem Druck nicht mehr standhält, dem wird nämlich neben dem ORF vielleicht nicht viel bleiben. (Niko Alm, 14.4.2020)