Jaroslaw Kaczynski ist seit Jahren Viktor Orbáns wichtigster ideologischer Partner in der Kampagne zum Umbau der EU.

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Die breite und berechtigte internationale Kritik am unbefristeten Notstandsgesetz in Ungarn hat sowohl in der Europäischen Union wie auch in den Medien Diskussionen über die durch die Corona-Pandemie gebotenen Chancen für autoritäre Politiker ausgelöst. Die Beschäftigung mit dem Orbán-Regime überschattet allerdings die bedenklichen Vorgänge auch in Polen. Dort gilt Jaroslaw Kaczynski, der Anführer der mit absoluter Mehrheit regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und Strippenzieher der Regierung, als der starke Mann, obwohl er formell kein Amt innehat. Er ist seit Jahren Viktor Orbáns wichtigster ideologischer Partner in der Kampagne zum Umbau der EU entlang illiberaler, nationalistischer und religiöser Trennlinien. Der Politologe Slawomir Sierakowski betont aber zu Recht, dass im Gegensatz zum opportunistischen Zyniker Orbán der um 14 Jahre ältere Kaczynski ein von nationalem Sendungsbewusstsein beseelter Fanatiker sei, für den Pragmatismus als ein Zeichen der Schwäche gelte.

Das seit Februar rechtskräftige "Richterknebelungsgesetz" gehört zu Kaczynskis Bestreben, ein in der polnischen Geschichte nach 1989 beispielloses Ausmaß an politischer Macht für seine Partei zu erreichen.

Justiz mit Gewalt unter Kontrolle

Seit dem Wahlsieg der PiS 2015 versucht die Regierungspartei die Justiz gegen den Widerstand der Richter durch Umbesetzungen innerhalb des Verfassungsgerichts und mithilfe rechtswidrig gebildeter Schlüsselinstrumente unter Kontrolle zu bringen. Zu diesen gehört eine Sonderkammer, die jedes rechtskräftige Urteil des vergangenen Jahrzehnts aufheben kann und eine neugeschaffene Disziplinarkammer, die jeden Richter oder Staatsanwalt entlassen kann. Auf Antrag der EU-Kommission ordneten die Richter des Europäischen Gerichtshofs am Mittwoch an, dass die Disziplinarkammer ihre Tätigkeit unverzüglich einstellen müsse; andernfalls drohe ein "schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden für die Unionsrechtsordnung". Diese peinliche Niederlage der PiS-Regierung ändert freilich nichts an der weiteren Tätigkeit anderer rechtswidrig geschaffener und mit handverlesenen, politisch genehmen Richtern besetzter Institutionen.

Kaum kontrollierbare Briefwahl

Vor dem Hintergrund des internationalen Streits um den Schutz der Unabhängigkeit polnischer Richter und inmitten der Pandemie erlebt das Land ein politisches Chaos rund um die für den 10. Mai geplante Präsidentschaftswahl. Trotz der allgemeinen Kritik wegen der durch einen Urnengang und die Stimmenauszählung begünstigten Verbreitung des Coronavirus setzte Kaczynski mit einer knappen Mehrheit eine in Polen nie erprobte und faktisch kaum kontrollierbare Briefwahl für 30 Millionen Wahlberechtigte durch. Dieses von der Opposition als "Staatsstreich" verdammte und für die Gesundheit der 200.000 Wahlhelfer gefährliche Experiment soll die Wiederwahl des von der PiS unterstützten Amtsinhabers Andrzej Duda rechtzeitig vor einer möglichen Verschärfung der Corona-Krise mit unberechenbaren Konsequenzen für dessen Wahlchancen sichern. Die Briefwahl könnte sich allerdings als ein nicht nur gesundheitlich, sondern auch politisch riskantes Experiment für ihren Erfinder, den mächtigen Kaczynski, entpuppen. (Paul Lendvai, 13.4.2020)