Manche Kindergärten sind verwaist, andere arbeiten im Krisenmodus. Mit den ersten Lockerungen der Corona-Maßnahmen drohen Probleme.

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Wien – Vergangene Woche eröffnete die Bundesregierung zumindest für einige Bereiche des Lebens eine Perspektive nach dem Corona-Shutdown. Nach den ersten kleineren Geschäften dürfen ab Mai möglicherweise zudem Einkaufszentren und Friseure wieder Kunden empfangen. Unklar blieb: Wo sollen die Beschäftigten in diesen Branchen ihre Kinder in Betreuung geben, wenn diese weiterhin nur in Ausnahmen in den Kindergarten gehen sollen?

Der Handel besteht zu 80 Prozent aus Einzelhandel, in dem wiederum rund 70 Prozent der Beschäftigten Frauen sind. Sie sind vom Krisenmodus in den Kinderbetreuungseinrichtungen besonders betroffen. Zwei Drittel aller Frauen mit Kindern unter 15 Jahren gaben in einer Studie der Statistik Austria aus dem Jahr 2018 an, dass die Arbeitssituation durch die Kinderbetreuung beeinflusst ist – bei den Vätern waren es nur 15 Prozent.

Notbetrieb in Kindergärten

Trotzdem tappten Betroffene zunächst im Dunkeln. Erst einige Tage nachdem Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) die Auferstehung des Handels verkündet hatte, wurden die gesetzlichen Regelungen für Kindergärten angepasst. Demnach läuft weiter ein Notbetrieb, den verschiedene Gruppen in Anspruch nehmen können.

Zur defensiven Kommunikation gesellt sich einmal mehr ein Föderalismuswirrwarr. In dem Erlass, der sich am Epidemiegesetz von 1950 orientiert und der zunächst bis zum Beginn der Osterferien gegolten hatte, dann aber bis zum Ende der Osterferien verlängert wurde und nun neuerlich fortgesetzt wird, steht: "Ziel ist es, die Kinderdichte im Kindergarten sowie die Anzahl der Sozialkontakte allgemein zu reduzieren."

Gleichzeitig heißt es, dass die Betreuung für Kinder, deren Eltern "beruflich unabkömmlich sind bzw. die keine Möglichkeit einer Betreuung zu Hause haben", sichergestellt werden müsse. Zu diesen Gruppen zählen laut Erlass Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal, Personal von Blaulichtorganisationen, Mitglieder von Einsatz- und Krisenstäben, Angestellte in Apotheken, Supermärkten, öffentlichen Verkehrsbetrieben und Alleinerziehende.

Problem Föderalismus

Weil die Elementarpädagogik Ländersache ist, werden in dem Schreiben des Gesundheitsministeriums die Landeshauptleute angehalten, sich um die Umsetzung über die Bezirksverwaltungsbehörden zu kümmern. Bei vielen Ländervertretern sorgt das für Kopfschütteln. So sagt etwa der Wiener Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky (SPÖ), es brauche klare, gemeinsame Regelungen in ganz Österreich. "Derzeit wissen weder Eltern genau, was Sache ist, noch die Betreuungseinrichtungen, wie sie Stunden- und Dienstpläne machen sollen." In Wien wurde die Liste jener Berufsgruppen, die während der Krise ihre Kinder in Betreuung geben dürfen, weiter gefasst: So können etwa auch Mitarbeiter von Banken, in Sozialbetreuungsberufen oder der Müllabfuhr, Reinigungspersonal sowie Journalistinnen und Journalisten darauf zurückgreifen.

Alle anderen müssen, wenn sie Betreuung in Anspruch nehmen wollen, ein vom Arbeitgeber unterschriebenes Formular vorweisen, das bestätigt, dass der Elternteil beruflich "unabkömmlich ist und auch keine Möglichkeit zur Telearbeit gegeben ist". Jeder, der einmal auf ein Kleinkind aufgepasst hat, weiß aber: Homeoffice lässt sich nicht mit gleichzeitiger Kinderbetreuung vereinbaren.

"Überlastung" als Ausnahme

Die dritte Ausnahme kann eine besondere "familiäre Belastungssituation" sein. Bevor es in der Familie zur "Überlastung kommt, soll das Angebot der Betreuung im Kindergarten oder Hort in Anspruch genommen werden". In diesem Fall könne man sich unabhängig vom beruflichen Hintergrund der Eltern oder Obsorgeberechtigten "vertrauensvoll" an die Standortleitung wenden, heißt es.

Der Österreichische Gewerkschaftsbund und die Arbeiterkammer fordern während der Corona-Krise einen Ausbau der sogenannten Sonderbetreuungszeit, damit Eltern nicht vom "guten Willen der Arbeitgeber abhängig" sind. Denn: Zwar können maximal drei Wochen für Betreuungszeit genommen werden, die Betroffenen brauchen aber das Einverständnis der Firma. Nach der Verlängerung der Notbetreuung in Kindergärten und Schulen wurde das Modell aber immerhin flexibler gestaltet. Es kann nun nicht nur wochenweise, sondern auch für einzelne Tage oder halbe Tage in Anspruch genommen werden.

Schwer einzufordern

Dass die Ausnahmebestimmung für "familiäre Belastungssituationen" für Eltern womöglich schwer einzufordern ist, zeigt eine Aussendung von Franz Prokop, dem Vorsitzenden der Wiener Kinderfreunde. Er betonte, dass die Kinderfreunde-Kindergärten so lange offen bleiben, wie es für alle Beteiligten vertretbar ist. Gleichzeitig weist er auf den Appell der Gesundheitsämter hin, die Kinder, wenn möglich, zu Hause zu betreuen. "Schon die steigenden Corona-Fallzahlen machen bewusst, dass nun jeder Mensch in seinem unmittelbaren Lebensbereich auch eine Mitverantwortung für das gute Überstehen dieser krisenhaften Situation trägt", so Prokop.

Vielen Betroffenen stößt sauer auf, dass Kurz davon gesprochen hat, es sei "keine Schande", seine Kinder nach Ostern wieder in Betreuung zu geben. Dennoch hätte es einen negativen Touch, wenn man die Kinderbetreuung alleine nicht mehr schafft. In den Augen vieler Eltern ist das Kindergartenthema "total vernachlässigt worden und bleibt an den Eltern hängen", sagt eine Betroffene dem STANDARD. Uni und Schule seien Thema, da es um Leistung gehe. "Kleinkinder sind eher egal, weil ohnehin erwartet wird, dass man die Betreuung selbst organisiert."

Schulen vor Kleinkinderbetreuung

In Deutschland empfahl die Nationalakademie Leopoldina am Montag, Schulen "sobald wie irgend möglich" wieder zu eröffnen. Kindertagesstätten sollten "bis zu den Sommerferien" im Notbetrieb bleiben, da die Kleinen im Gegensatz zu den Schulkindern noch nicht mit Schutzmasken umgehen könnten, diese aber auch von den Kindern getragen werden sollten, so die Forschungsgemeinschaft.

Dass Lockerungen in anderer Reihenfolge organisiert werden können, zeigt etwa Dänemark. Ministerpräsidentin Mette Frederiksen kündigte am 6. April an, im ersten Schritt sollen Kinderkrippen, Kindergärten und die unteren sechs Jahrgangsstufen von Schulen am 15. April wieder öffnen. Jene, die die erste "vorsichtige Phase der Öffnung", so Frederiksen, betrifft, sind nicht Shops, sondern die Kinderbetreuung.

In Österreich nahm man davon Abstand – auch weil Wissenschafter der TU Wien berechnet hatten, dass die Zahl der Infektionen insgesamt stärker steigen würde, wenn die Betreuungseinrichtungen nicht geschlossen blieben. (Beate Hausbichler, Rosa Winkler-Hermaden, 13.4.2020)