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Nur Kinder, die bereits in der digitalen Welt zu Hause sind, werden dort auch Schulaufgaben und Lernen meistern.

Foto: mixetto

Gerade in sozioökonomisch benachteiligten Familien ist der Druck nach vier Wochen Ausgangsbeschränkungen, Homeschooling und Homeoffice aufgrund des Coronavirus hoch. "Die Schüler bekommen viele Arbeitsaufträge, und die Eltern können ihnen nicht helfen. Weil sie arbeiten müssen, weil sie sich technisch nicht auskennen oder weil sie eben einfach nicht können", beschreibt Jürgen Bell, Abteilungsleiter der Schulpsychologie und des schulärztlichen Diensts der Bildungsdirektion Wien, dem STANDARD eines der häufigsten Anliegen, mit denen sich Eltern und Schüler melden.

Die Schülerinnen und Schüler stünden zudem unter Stress, weil sie sich Sorgen um ihre Noten im Zeugnis machten. Wenig Platz in der Wohnung, kaum Bewegung und Langeweile tun ihr Übriges. Die schulpsychologische Beratung hat gemeinsam mit Rat auf Draht einen Chat eingerichtet, auch telefonische Beratung in mehreren Sprachen wird angeboten.

Fast sieben Prozent nicht erreichbar

Derzeit sind fast sieben Prozent der Sechs- bis 14-jährigen Schüler für ihre Lehrer nicht erreichbar, hat eine Erhebung des Bildungsministeriums ergeben. Wenn mehrere Kontaktversuche von Psychologen und Sozialarbeitern nicht fruchten, wird die Kinder- und Jugendhilfe eingeschaltet.

Um den Druck aus den Familien herauszunehmen, schlägt Bernhard Lahner im Gespräch mit dem STANDARD vor, offensiver zu kommunizieren, dass die Schulen eigentlich offen sind. Derzeit würden sich viele Eltern nicht trauen, ihre Kinder in die Schule zu bringen.

Die Schulen sind offen

Lahner ist Sonderschullehrer an der integrativen Lernwerkstatt Brigittenau in Wien und seit mehreren Jahren bildungspolitisch aktiv – unter anderem bei der überparteilichen Initiative Schulautonomie Monitoring Österreich.

Eltern, deren Kinder die Volksschule, Unterstufe, Neue Mittelschule oder Sonderschule besuchen, können die Schüler trotz der Corona-Maßnahmen in die Schule schicken, wenn sie "beruflich unabkömmlich" sind oder "keine Möglichkeit der Betreuung haben", heißt es im Erlass des Bildungsministeriums. Alleinerziehende werden ausdrücklich genannt. Dennoch stehen die meisten Schulen leer.

So sieht es in den meisten Klassenzimmern von Österreich gerade aus.
Foto: Elmar Gubisch

Neben den bekannten Ausnahmeregelungen für die Ausgangsbeschränkungen (Berufstätigkeit, Einkaufen, Hilfe für Angehörige, Spazieren) sollte laut Lahner deshalb auch die Fahrt zur Schule als eine Ausnahme von den Beschränkungen genannt werden.

Treffen einmal pro Woche

Generell hält es der Pädagoge für notwendig, die Schulen auch regulär wieder zu öffnen. "Wenn jeder einmal pro Woche kommt, kann die notwendige räumliche Distanz gewahrt bleiben", sagt Lahner. Auf Risikogruppen – auch unter den Eltern und Lehrern – müsse dabei natürlich Rücksicht genommen werden.

Bei den Treffen können die Schüler ihre Fragen stellen und Aufgaben für die kommende Woche bekommen, schlägt Lahner vor. Auch die Situation zu Hause könnten die Kinder und Jugendlichen besprechen. Ohne diese Treffen würde es einige ab Herbst "ordentlich durchrütteln", fürchtet der Lehrer. Nicht nur wegen des verpassten Lernstoffes, sondern vor allem wegen der fehlenden sozialen Kontakte und Hilfe durch Psychologen und Sozialarbeiter. Von denen es ohnehin zu wenige gebe.

Laptops und Smartphones für Schüler

Lahner will bei der kommenden Wien-Wahl für die Grünen antreten und deren Bildungspolitik aufmischen. Die Wiener Grünen haben mittlerweile 15 Millionen Euro gefordert, um Schüler mit Laptops, Tablets oder Smartphones sowie zusätzlichem Datenvolumen auszustatten. Einige haben keine oder zu wenige Geräte zu Hause und können allein deshalb manche Aufgabenstellungen nicht lösen.

Der Bund hat nun in Aussicht gestellt, 12.000 Schüler an Bundesschulen mit Endgeräten auszustatten. Davon nicht erfasst sind allerdings Neue Mittelschulen, wo es laut Berichten von Pädagogen besonders großen Bedarf geben dürfte. Die Stadt Wien hat bereits angekündigt, eine ähnliche Initiative für die NMS und andere Pflichtschulen starten zu wollen. Auch die übrigen Bundesländer wollen den Kauf von Laptops fördern oder sammeln gebrauchte Geräte. Noch nicht geplant ist der Zugang zu besserem Internet – auch der fehlt allerdings oft.

Familien mit Technik überfordert

Psychoanalytikerin und Sozialarbeiterin Dana Pajkovic lehrt an der Universität Wien am Institut für Bildungswissenschaften und bildet dort unter anderem Pädagogen aus. Sie begrüßt die Initiativen für mehr Endgeräte zwar, fürchtet aber, dass sie sozioökonomisch benachteiligten Familien nur teilweise helfen können. Für Kinder, die bisher wenig mit Laptops zu tun hatten, sei es eine große Anstrengung, damit allein Aufgaben zu lösen. "Dann gibt es ein technisches Problem, auch die Eltern kennen sich nicht aus, und die Familie ist überfordert."

Pajkovic empfiehlt, die Leistungen während der Zeit daheim nicht zu beurteilen, um zusätzlichen Stress zu vermeiden. Auch neuer Lernstoff würde überfordern. Das sieht auch Lahner so. Es stelle sich die Frage, wie die Lehrer die Leistungen überhaupt bewerten sollen. Feedback sei ohnehin möglich, Noten seien nicht unbedingt nötig und würden den Druck nur unnötig erhöhen. Wie das Schulzeugnis dann zustande komme, solle man den Schulleitern vor Ort überlassen. "Die kennen die Situation der Schüler am besten." (Lisa Kogelnik, 14.4.2020)