Frage: Wie viele Gesetze haben ÖVP und Grüne im Kampf gegen das Coronavirus bisher in Windeseile durchgepeitscht?

Antwort: Seit Mitte März haben die türkis-grünen Regierungsfraktionen im Parlament drei Corona-Pakete durchgebracht: Das erste enthielt acht Gesetze, das zweite 34, das dritte 92, rechnet Parlamentarismusexperte Werner Zögernitz vor – macht insgesamt 134 Stück. Mit der zunehmenden Anzahl an Sammelgesetzen stieg zuletzt jedoch der Frust der Opposition, die umstrittene Maßnahmen nicht einfach abnicken wollte. Um die Epidemie einzudämmen, setzte es außerdem eine Vielzahl an ministeriellen Verordnungen und Erlässen, die unter Juristen als besonders umstritten gelten.

Theoretisch könnte der Verfassungsgerichtshof unter dem neuen Präsidenten Christoph Grabenwarter wegen der steigenden Beschwerden gegen Covid-19-Vorgaben sogar eine Sondersession einlegen.
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Frage: Welche Verordnungen gelten zum Beispiel als heikel?

Antwort: Allen voran ist die Verordnung von Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) vom 16. März umstritten, mit der quasi der gesamte öffentliche Raum zur verbotenen Zone erklärt wird und in der für den Aufenthalt im Freien nur wenige Ausnahmen definiert wurden. Die Regierung leitet daraus unter anderem eine Art Besuchseinschränkung für die Verwandtschaft ab. Dazu gerät die Exekutive unter Druck, zwischen Gesagtem der Koalition und tatsächlich Untersagtem zu unterscheiden.

Frage: Was spricht dagegen, angesichts der Pandemie mit äußerster Strenge vorzugehen?

Antwort: Wenn man die Wohnstätte nur unter bestimmten Bedingungen verlassen darf, sind etwa das Recht auf Freiheit, das Aufenthaltsrecht und die Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt. Durch den Shutdown der Betriebe samt schrittweiser Lockerung sind wiederum die unternehmerische Freiheit und die freie Verfügung über das Eigentum angegriffen. (siehe Infobox: WISSEN Grundrechte)

Frage: Aber die Maßnahmen der Regierung zeigen doch Wirkung, erklärte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP)?

Antwort: Das ist korrekt. Doch darüber hinaus erklärte Kurz am Osterdienstag, dass die Regierung keine Reparaturen rund um die Covid-19-Gesetze und -Verordnungen, die möglicherweise nicht verfassungskonform sind, vorsehe. Sein Argument lautete: Bis der Verfassungsgerichtshof darüber befindet, werden die Maßnahmen nicht mehr in Kraft sein. Verfassungsrechtler Heinz Mayer qualifiziert diese Haltung unter dem Motto "Hauptsache, es wirkt" als "sehr bedenklich". Damit lege der Kanzler eine Respektlosigkeit gegenüber der Rechtsordnung und der Verfassung an den Tag, auch wenn es angesichts der Vielzahl an komplexen Materien unweigerlich zu Fehlern komme. Auch die Richtervereinigung mahnt bereits Korrekturen angesichts von Verfassungswidrigkeiten, Rechtsetzung und gesetzeswidrigen Verordnungen ein. Der Verfassungsjurist Peter Bußjäger findet den Ton des Kanzlers in dieser Sache "in seiner Saloppheit ein bisschen machiavellistisch".

Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) erntet Kritik von Juristen und der Opposition, seit er erklärte, dass für möglicherweise nicht verfassungskonforme Coronavirus-Maßnahmen keine Reparaturen geplant seien.
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Frage: Bleibt trotz der Kritik alles rechtlich so, wie sie es derzeit ist?

Antwort: Nein. Denn Gesundheitsminister Anschober hat bereits erklärt, dass er grenzwertige Maßnahmen mit Juristen bereinigen wolle. In seinem Beratungsgremium sitzen neben Ex-Justizminister Clemens Jabloner auch Christiane Wendehorst (Professorin für Zivilrecht Universität Wien), Wolfgang Peschorn (Ex-Innenminister und Präsident der Finanzprokuratur), Michael Mayrhofer (Institutsvorstand für Verwaltungsrecht JKU Linz), Andreas Janko (Vizeinstitutsvorstand Staatsrecht JKU Linz) und eben Mayer. "Wir sind aufgefordert, Kritik zu üben", erklärt er zu seiner neuen Aufgabe.

Frage: Ist zumindest an der Einschätzung von Kanzler Kurz etwas Wahres dran, dass die Covid-19-Maßnahmen bis zu Sprüchen der Höchstrichter wohl ohnehin obsolet seien?

Antwort: Nicht unbedingt, denn: Obwohl der Verfassungsgerichtshof nur vierteljährlich in mehrwöchigen Sessionen Beschwerden prüft, könnte das Höchstgericht jetzt auch eine Sondersession einlegen, erklärt Mayer. Ebenso könnte das Höchstgericht schon in der Juni-Session über diverse Anfechtungen befinden.

Frage: Wie viele Beschwerden liegen beim Verfassungsgerichtshof schon vor?

Antwort: Laut Auskunft des Höchstgerichts gingen bisher etwa zwanzig Anträge beim Höchstgericht ein, die Corona-Maßnahmen betreffen. Darunter die Beschwerde eines Wiener Rechtsanwalts im Namen Betroffener wegen der ungleichen Entlohnung von Zivildienern im Kriseneinsatz.

Frage: Was macht die Situation für die Opposition so diffizil?

Antwort: Weil die Koalitionsparteien SPÖ, FPÖ und Neos ihre Covid-19-Sammelgesetze quasi in letzter Minute übermitteln, bleibt ihnen nur, den Gesamtpaketen ihren Sanktus zu geben oder eben in Bausch und Bogen abzulehnen. Das ist einerseits ein mächtiger Hebel für Rot, Blau und Pink, erklärt Experte Zögernitz. Gleichzeitig läuft die Opposition aber auch Gefahr, bei einem Nein als Verhinderer dazustehen.

Frage: Wieso braucht Türkis-Grün überhaupt ihre Zustimmung?

Antwort: Auch wenn sich in einem Paket nur wenige Verfassungsbestimmungen finden, braucht es dafür im Zuge der dritten Lesung eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat und im Bundesrat, erklärt Zögernitz – also zumindest die Zustimmung von SPÖ oder FPÖ. Sobald der Bund etwa in Länderkompetenzen eingreift, kommt es zu dieser für den Bundesrat besonders sensiblen Situation. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn den Landesverwaltungsgerichten gewisse Fristen gesetzt werden.

Frage: Wie steht es um den Ibiza-Untersuchungsausschuss?

Antwort: Um den U-Ausschuss wird es wohl keine weiteren Streitigkeiten geben. Alle Parteien haben sich am Mittwoch auf einen Start Anfang Juni geeinigt. Bis Jahresende finden 26 Termine mit maximal drei Auskunftspersonen statt, 2021 dann noch 16 weitere. Wenn die Corona-Krise einen Start vor Sommer unmöglich macht, könnte jedoch doch eine Zweidrittelmehrheit nötig sein, um Maßnahmen zu treffen. Dann wäre eine Fristenhemmung nötig. (Jan Michael Marchart, Fabian Schmid, Nina Weißensteiner, 15.4.2020)