Leonore Gewessler bei einem Interviewtermin im Jänner. Die Ministerin arbeitet zwar noch vom Büro aus, das Gespräch mit dem STANDARD wurde allerdings per Videoanruf geführt.

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Die Klimakrise ist mit Ausbruch der Corona-Pandemie zum Randthema geworden. Dabei sei Klimaschutz das beste Konjunkturpaket, sagt die grüne Ministerin Leonore Gewessler. Aus der Pandemie könnten außerdem Lehren für den Umgang mit der Klimakrise gezogen werden – zum Beispiel das Arbeiten von zu Hause aus. Das Gespräch mit dem STANDARD fand per Videoanruf statt.

STANDARD: Die Corona-Krise zeigt, wie schnell die Politik handeln kann, wenn es darauf ankommt. Warum fehlt Vergleichbares im Kampf gegen die Klimakrise?

Gewessler: Wir spüren gerade, wie sich eine Krise anfühlt, wir sehen aber auch, dass wir diese mit Konsequenz, Disziplin und der Wissenschaft in den Griff bekommen können. Bei der Klimakrise ist das anders: Wenn sie einmal da ist, dann bleibt sie, da gibt es keine Impfung. Den politischen Willen müssen wir in den Kampf gegen die Klimakrise mitnehmen. Der Weg aus der Corona-Krise muss einer seiner, der uns nicht in eine Wirtschaft- und Arbeitsmarktkrise führt, und da kommt der Klimaschutz ins Spiel. Der ist nämlich das beste Konjunkturpaket.

STANDARD: Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Gewessler: Der Ausbau der erneuerbaren Energie oder der Bahninfrastruktur schafft sichere Arbeitsplätze und gleichzeitig eine lebenswerte Zukunft. Diese Maßnahmen braucht es angesichts der 600.00 Arbeitslosen. So könnten wir sogar gestärkt aus der Krise herausgehen. Dazu müssen wir Maßnahmen im Klimaschutz vielleicht auch vorziehen, weil sie nächste Investitionen auslösen. Zum Beispiel der Bahninfrastrukturausbau – immerhin ist die Baubranche stark getroffen.

Leonore Gewessler (links) will die Wirtschaft klimafreundlich wiederaufbauen.
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STANDARD: An Österreichs Klimabudget wird also nicht gerüttelt, Ausgaben könnten sogar vorgezogen werden?

Gewessler: Wir haben den Budgetbeschluss im Mai, für den Klimaschutz ist selbstverständlich das gleiche Budget vorgesehen. Unmittelbar müssen wir jetzt stabilisieren und schauen, dass lokale Betriebe erhalten bleiben. Dann sind Maßnahmen notwendig, damit sich die Wirtschaftskrise nicht verfestigt. Dazu müssen wir Konjunkturpakete schnüren und sicherstellen, dass wir das Geld, das wir jetzt in die Hand nehmen, für den Klimaschutz nützen.

STANDARD: Gerade in der Flugindustrie ist in Österreich von hunderten Millionen Euro an Finanzspritzen die Rede. Können Sie das als Grüne und Klimaministerin mittragen?

Gewessler: Wenn es um mehrere hundert Millionen Euro Steuergeld geht, dann muss es auch klare klimapolitische Bedingungen geben. Und: Wenn es Unternehmen wieder besser geht, muss auch der Steuerzahler etwas von den Hilfen haben.

STANDARD: Soll sich der Staat an der AUA beteiligen, um klimapolitisch Mitsprache zu bekommen?

Gewessler: Viele Ökonomen haben dazu Vorschläge gemacht, Mitsprache ist einer davon. Auch von einer starken Einschränkung von Kurzstreckenflügen über alternative Treibstoffe bis hin zur Flugticketabgabe ist die Rede. All diese Vorschläge wird man sich anschauen.

STANDARD: In Deutschland wurde die Flugticketabgabe mit April deutlich erhöht. Bei Langstrecken fallen jetzt 60 Euro an. In Österreich sind einheitlich zwölf Euro geplant. Wie ist das zu rechtfertigen?

Gewessler: In Österreich ist bei der Kurzstrecke eine Verdreifachung der Flugticketabgabe geplant. Es geht um den Lenkungseffekt. Also darum, dort, wo es eine Alternative zum Fliegen gibt, diese auch zu nutzen. Aus Klimaperspektive ist es das erste Ziel, möglichst nachhaltig unterwegs zu sein. Und das heißt, auf den Zug zu setzen, wo immer es geht.

Wie es mit der AUA weitergeht, ist noch nicht geklärt.
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STANDARD: Über die notwendige Klimamilliarde wird in Österreich schon lange diskutiert. Warum gibt es für das Klima keine Notfallhilfe?

Gewessler: Die Corona-Krise zeigt, dass wir entschlossen und ministerienübergreifend handeln können. Diesen Willen müssen wir in die Klimakrise mitnehmen. Wenn die Klimakrise kommt, dann bleibt sie. Dann wird dieser Ausnahmezustand zum Dauerzustand. Wir reden jetzt davon, dass wir Probleme haben, weil Erntehelfer ausbleiben. Aber auch heuer ist es wieder extrem trocken. Wir werden in Zukunft also viel mehr Probleme haben, überhaupt noch zu ernten. Genau deswegen ist der Handlungsdruck nicht weniger geworden, sondern größer.

STANDARD: Was sagen Sie dazu, dass die Weltklimakonferenz verschoben wurde?

Gewessler: Ich bedaure den Schritt sehr, kann ihn aber nachvollziehen. Natürlich muss auch so etwas gut vorbereitet sein, in dieser Ausnahmesituation ist das schwierig. Das entbindet uns aber nicht von der Verantwortung, einen Beitrag zu leisten. Deshalb habe ich auch auf EU-Ebene eingefordert, dass die Union ihren Beitrag zu den internationalen Klimazielen auf jeden Fall auch selbst ambitionierter definiert – unabhängig davon, wann die Klimakonferenz stattfindet.

STANDARD: Wie weit wird Österreich gehen?

Gewessler: Das österreichische Ziel leitet sich dann ja von einem neuen EU-weiten Ziel ab. Wir haben uns mit der Klimaneutralität bis 2040 ein sehr ambitioniertes Ziel gesetzt. Auf EU-Ebene geht es darum, was "klimaneutral" bis 2050 für den Kontinent heißt. Wenn wir über langfristige Ziele reden, muss es aber natürlich auch konsistente Zwischenziele geben.

Im Regierungsprogramm wurde festgehalten, dass Österreich bis 2040 klimaneutral sein soll. Zwischenziele dazu wurden bisher noch nicht definiert.
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STANDARD: Um die nächsten Schritte der ökosozialen Steuerreform ist es still geworden. Gibt es schon Modelle für einen CO2-Preis?

Gewessler: Der Zeitplan steht und der bleibt auch. Die Arbeitsgruppe hat sich unmittelbar vor dem Ausbruch der Corona-Krise konstituiert. Jetzt gehen natürlich alle Energien in die Bekämpfung der Pandemie – und das ist auch gut so. Das heißt nicht, dass parallel nicht die Arbeiten zu Konjunkturpaketen und auch am steuerlichen Rahmen weitergehen. Wenn wir den unmittelbaren Krisenmodus hinter uns bringen, wird die Arbeit wieder intensiver voranschreiten.

STANDARD: In Wien gibt es seit dieser Woche verkehrsberuhigte Zonen, um mehr Platz für Spaziergänger zu schaffen. Sollen diese nach der Krise beibehalten werden?

Gewessler: Wir haben uns unabhängig von der Krise die Aufgabe gestellt, die Straßenverkehrsordnung nach Möglichkeiten zu durchforsten, um Gehen und Fahrradfahren attraktiver und sicherer zu machen. Ich kann in der aktuellen Situation die Rahmenbedingungen zur Verfügung stellen, die Entscheidung liegt bei Städten und Gemeinden. Die Zonen sind jetzt eine Notfallmaßnahme, damit wir im öffentlichen Raum die Abstandsregeln einhalten können. Es haben nicht alle das Glück, dass sie einen Garten oder einen Balkon haben. Und wenn man sich einmal die Füße vertreten muss, um den Kopf freizubekommen, braucht das Platz.

STANDARD: Welche Lehren kann die Regierung aus der Corona-Krise für den Kampf gegen die Klimakrise mitnehmen?

Gewessler: Ganz viele von uns erleben zum Beispiel gerade, dass Homeoffice funktionieren kann. Wir sehen jetzt außerdem nicht nur, wie sich die Krise anfühlt, sondern auch, was wir in einer Krisensituation imstande sind zu leisten. Mit Konsequenz, Solidarität, Zusammenarbeit – und wo wir als Gesellschaft wirklich Großartiges leisten. Diese Frage des politischen Mutes wird auch für die Lösung der Klimakrise wichtig sein. (Nora Laufer, 15.4.2020)