In Arada, einem Bezirk von Tripolis, besichtigt ein Mann den Bombenschaden in seinem Haus. Die Truppen Haftars verstärken den Beschuss der Hauptstadt.

Foto: Mahmud TURKIA / AFP

Der Beginn der Offensive auf Tripolis jährte sich am 4. April zum ersten Mal: Was der Ostlibyen kontrollierende 76-jährige General Khalifa Haftar in 48 Stunden erledigt haben wollte – die Einnahme der libyschen Hauptstadt –, ist seit Wochenbeginn in noch weitere Ferne gerückt. Kräfte der international anerkannten libyschen Regierung von Fayez al-Serraj haben am Montag die Städte Sorman und Sabratha und kleinere Orte im Westen von Tripolis eingenommen. Sie kontrollieren nun den gesamten Küstenstreifen westlich der Hauptstadt.

In der Folge intensivierte Haftar am Dienstag das Bombardement von Tripolis. Die Lage in der Stadt, in der auch die ersten Covid-19-Fälle vermeldet wurden, ist desaströs: Zu den Kriegshandlungen kommen teils absichtlich herbeigeführte Infrastrukturprobleme. In einer Auseinandersetzung um Verhaftungen von Angehörigen blockierten Bewohner des Dorfes Shwerif vor kurzem die Wasserleitung nach Tripolis, den unter Muammar Gaddafi gebauten "Man Made River". Mehr als zwei Millionen Menschen blieben ohne Wasser, dazu kommen die Stromausfälle.

Wende in der Schlacht

Kampfhandlungen gab es am Dienstag auch im Süden, Südosten und Osten der Hauptstadt, zwischen Misrata und Sirte. Die Einnahme von Sorman und Sabratha war der wichtigste Erfolg der von der Türkei und Katar unterstützten Regierungskräfte seit langem. Was nun auf dem Boden zu sehen ist, ist jedoch die Folge einer Wende in der Schlacht um die Lufthoheit. In der heutigen Zeit bedeutet das unter anderem einen Drohnenkrieg.

Bis zum Eintritt der Türkei in den Konflikt lag die Überlegenheit diesbezüglich bei Haftar, der von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) mit chinesischen Ming-Loong-II-Drohnen ausgestattet wurde. Mittlerweile sind auf Regierungsseite von Katar bezahlte türkische Bayraktar-TB2-Drohnen im Einsatz, sowie ebenfalls von der Türkei gelieferte Radar-Jammer, die die Verteidigung Haftars schwächen.

Krieg der Unterstützer

Die auf Uno-Vermittlung zustande gekommene Regierung von Fayez al-Serraj, die zumindest nominell von der internationalen Gemeinschaft anerkannt ist, wird von Katar und der Türkei unterstützt. Auf der Seite Haftars befinden sich neben den VAE auch Ägypten und in geringerem Maß Saudi-Arabien, die die Offensive gegen Tripolis als Kampf gegen die Muslimbruderschaft und damit "islamistische Terroristen" sehen. Islamisten – Salafisten – kämpfer allerdings auch für Haftar. Hinter Haftar steht ebenfalls Russland: Söldner der russischen Wagner-Gruppe sind für Haftars "Libysche Nationale Armee" im Einsatz genauso wie solche aus afrikanischen Staaten wie Tschad, Nigeria und Sudan.

Auf türkischer Seite ist der Einsatz von syrischen Rebellen belegt, unter anderem solchen, die wohl tatsächlich jihadistisch-terroristischen Gruppen zuzurechnen sind. Auch für Haftar sollen von Russland verschaffte Syrer kämpfen. Beide Seiten stützen sich demnach auf Milizenarmeen, keine regulären Truppen.

Angriff und Gegenoffensive

Die derzeitige Eskalation begann in der zweiten Märzwoche mit einem neuerlichen Vorstoß Haftars auf Tripolis, dem am 25. März eine Gegenoffensive Serrajs folgte. Am 1. April griff erstmals ein türkisches Kriegsschiff mit Boden-Luft-Raketen gegen Haftars Drohnen ein.

Auch wenn Haftars Angriff auf Tripolis gehörig schiefgegangen ist, kontrolliert er weiter große Teile des Landes. Er und der Sektor der libyschen Gesellschaft, die er vertritt, bleiben auch ein wichtiger politischer Faktor. Keine Gruppe kann Libyen alleine regieren. Zu Beginn des Jahres schien sich die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass es eine diplomatische Lösung braucht: Die Präsidenten der Türkei und Russlands, Tayyib Erdogan und Wladimir Putin, sprachen sich bei einem Treffen in Moskau für einen Waffenstillstand aus.

Ein entsprechendes Papier wurde von Serraj, aber nicht von Haftar unterzeichnet. Am 19. Jänner versuchte eine Konferenz in Berlin auch die ausländischen Unterstützer der libyschen Kriegsparteien in die Pflicht zu nehmen. Ein 55-Punkte-Plan wurde verabschiedet, dessen Wirkung völlig verpuffte. Anfang März trat der Uno-Beauftragte für Libyen, Ghassan Salamé, von seinem Posten zurück.

Zwispältige Haltung

Wenngleich die zu Jahresbeginn 2016 gebildete Regierung von Serraj anerkannt wurde, so führte dessen Machtlosigkeit diversen Milizen gegenüber bald dazu, dass international mit einem "starken Mann" für Libyen – Haftar – geliebäugelt wurde. Auch in der EU waren die Fronten bald gespalten: Frankreich etwa schlug sich mehr oder weniger offen auf die Seite des Kriegsherrn, der politisch von einer östlichen Regierung und einem östlichen Parlament gestützt wird.

Die zwiespältige Haltung der USA zeichnete in einem Artikel am Dienstag die New York Times nach: Demnach habe Haftar vor seinem Angriff auf Tripolis vor einem Jahr ein Telefonat mit dem damaligen Sicherheitsberater John Bolton geführt. Dieser habe ihm "gelbes Licht" gegeben. Eine Folge sei nun der wachsende Einfluss Russlands. Allerdings reicht der offenbar nicht aus, um Haftar zum Sieg zu verhelfen. (16.4.2020)