Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) denkt nicht an Reparaturen der Corona-Maßnahmen. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) lässt sie einstweilen von Juristen bewerten.

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Dass es Kanzler Sebastian Kurz nicht so eng sieht, wenn manche der eilig beschlossenen Corona-Maßnahmen verfassungswidrig sein könnten, stößt nun auch innerkoalitionär auf Kritik. Der Europasprecher der Grünen, Michel Reimon, schreibt in einem Facebook-Beitrag: "Je länger die Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit einzelner Corona-Maßnahmen und Sebastian Kurz’ Reaktion darauf dauert, desto wichtiger finde ich sie."

Reimon vergleicht die unterschiedlichen Reaktionen in der Koalition. Kurz sage "mit einem Lächeln sinngemäß", dass ihm Fehler nicht wichtig seien, weil eine Prüfung des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) wohl länger dauern werde, als die Gesetze gälten. Der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober dagegen stelle ein Beratungsgremium mit Juristen auf und wolle gegebenenfalls Korrekturen vornehmen. "Wenn es in dieser extrem sensiblen Phase darum geht, Österreichs Rechtsstaat und Demokratie zu schützen, ist genau das wichtig", schreibt Reimon. "Jeder Fehler, der passiert sein könnte, wäre eben ein Fehler und muss aufgespürt werden, nicht weggeredet."

Von jeder Perfektion entfernt

Aus Sicht des grünen Abgeordneten ist nun aber keine besondere Unterredung mit der ÖVP und dem Kanzler notwendig. "Ich sehe das einfach als normalen Prozess", sagt Reimon zum STANDARD. Ob es bei den Corona-Maßnahmen Korrekturen brauchen werde, bewerten nun die Verfassungsjuristen in Anschobers Evaluierungsgruppe. Die traf sich am Donnerstag zum zweiten Mal. Die Ergebnisse sollen dann in den türkis-grünen Koordinationsgremien auf Klub- und Regierungsebene besprochen und Fehler gegebenenfalls bearbeitet werden. "Es ist alles wahnsinnig schnell passiert, wir werden von jeder Perfektion weit entfernt sein", sagt Reimon. "Das ist uns bewusst. Unser grüner Anspruch ist eben höher als der von Türkis-Blau." Gerade die Grünen hätten die damalige Regierung für die geringe Qualität ihrer Gesetze kritisiert.

Christiane Wendehorst, Professorin für Zivilrecht an der Universität Wien, wurde in Anschobers neue Gruppe eingeladen. Für legistische Fehler und Unklarheiten im vergangenen Monat zeigt sie angesichts der schwierigen Bedingungen Verständnis. Doch jetzt sei der richtige Zeitpunkt, um die Qualität der Regeln mit Augenmaß zu verbessern. Zwar müsse man angesichts der kurzen Geltung nicht alles permanent optimieren, doch es müsse klar sein, dass Verfassung und Grundrechte auch nicht vorübergehend außer Kraft gesetzt seien, betonte Wendehorst am Donnerstag. "Der Rechtsstaat steht nicht zur Disposition."

Innerhalb der Juristengruppe gibt es offenbar laut APA aber auch die Meinung, dass nicht nur über die Rolle des Gesundheitsressorts gesprochen werden sollte, sondern über die der gesamten Bundesregierung und über die massiven Wirtschaftshilfen.

Die Zeit ist ein knappes Gut

Viel zu besprechen gibt es jedenfalls am Verfassungsgerichtshof. Die Höchstrichter kommen normalerweise einmal pro Quartal zu einer mehrwöchigen Session zusammen, um ihre Entscheidungen zu fällen. Die nächste Session wird laut Plan im Juni stattfinden. Viele der tiefen Eingriffe in die Grundrechte dürften dann bereits außer Kraft sein. Allerdings ist der Termin nicht in Stein gemeißelt – VfGH-Präsident Christoph Grabenwarter kann theoretisch auch vorher schon jederzeit eine Session anordnen.

Auf STANDARD-Anfrage erklärt eine Sprecherin des VfGH jedoch, dass dies nicht angestrebt werde. Der Gerichtshof arbeite auch zwischen den Sessionen auf Hochtouren und prüfe laufend die Anträge gegen Corona-Regelungen. In einigen Fällen habe der VfGH die Regierung in einem Vorverfahren zur Stellungnahme aufgefordert. Eigentlich müsste die sich binnen acht Wochen dazu äußern. In den Corona-Gesetzen ist allerdings eine Verzögerung der gerichtlichen Fristen eingebaut, daher beginnt die Frist erst Anfang Mai zu laufen. Wenn die Regierung sich Zeit lässt, geht sich selbst in der Juni-Session eine Entscheidung des Höchstgerichts nicht mehr aus. (Theo Anders, Jan Michael Marchart, 16.4.2020)