Bild nicht mehr verfügbar.

"Quarantäne" steht auf diesem Zaun in Minsk. Der weißrussische Präsident bezeichnete die Angst vor Covid-19 als "Psychose".

Foto: AP / Sergei Grits

Vierzig Corona-Tote und 4.200 Infizierte: Das war laut Johns-Hopkins-Universität am Donnerstag der Stand der Dinge im autoritär geführten Weißrussland. Staatschef Alexander Lukaschenko setzte von Beginn an auf Verharmlosung – und empfahl Wodka, Sauna und Eishockey als Waffen im Kampf gegen die Pandemie.

Olga Dryndova (33) ist Politikwissenschafterin aus Weißrussland. Derzeit ist sie die verantwortliche Redakteurin der "Belarus-Analysen" der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen.
Foto: Natalia Lipchanskaya

STANDARD: Präsident Lukaschenko hat die Gefahr durch das Coronavirus anfangs kleingeredet. Hat sich das inzwischen geändert?

Dryndova: Er hat sogar einmal öffentlich über das Gewicht eines Toten gesprochen und gefragt, wie der Mann mit 135 Kilo überhaupt leben konnte. Darauf gab es sehr negative Reaktionen. Im Internet haben Menschen fiktive Kommentare Lukaschenkos zu ihrem eigenen Tod verbreitet – "letzte Grüße des Präsidenten". Mittlerweile mehren sich aber auch in Belarus die Todesfälle, jetzt macht Lukaschenko das nicht mehr.

STANDARD: Wie geht die Politik aktuell mit Covid-19 um?

Dryndova: Die Grundrhetorik ist dieselbe geblieben: Man habe das Virus im Griff, unabhängige Medien würden künstliche Panik verbreiten. Quarantänemaßnahmen werden vor allem aus Sorge um die schwache Wirtschaft abgelehnt. Offiziell wird aber auch vor einer Spaltung der Gesellschaft gewarnt: etwa zwischen Arbeitern in den Fabriken und Menschen, die Homeoffice machen würden – und schwerer kontrollierbar wären. Manche Argumente klingen geradezu liberal: etwa dass man Menschen nicht daheim einsperren dürfe. Präsidenten autokratisch geführter Staaten sprechen sonst ja selten über Bürgerrechte.

STANDARD: Unabhängigen Medien zufolge gibt es Fälle, bei denen Covid-19 von Ärzten nicht offiziell als Todesursache eingetragen werden darf.

Dryndova: Ja, es gibt diese Berichte, sie lassen sich aber schwer überprüfen. Diese Ärzte wollen in der Regel anonym bleiben. Das zeigt, wie schwach nach 26 Jahren Lukaschenko-Herrschaft die Feedback-Kultur im Land ist: Die Botschaft, das Virus sei ungefährlich, wurde über die Krankenhausleitungen bis zu den Ärzten weitergegeben. Wer nun als Erster laut sagt, dass es etwa an Schutzausrüstung mangelt, hätte Angst, seinen Job zu verlieren.

STANDARD: Ist das Gesundheitssystem dagegen machtlos?

Dryndova: Das Ministerium versucht natürlich, die Kliniken zu versorgen. Aber es gibt auch zivilgesellschaftliche Initiativen und Crowdfunding-Plattformen, bei denen Gesundheitseinrichtungen informell Schutzmasken oder Arzneimittel kostenlos bestellen können. Viele Ärzte wollen nicht offiziell zugeben, dass ihnen etwas fehlt, und wenden sich lieber an diese ehrenamtlichen Kanäle.

STANDARD: Vorerst gibt es keine Einschränkungen für Handel oder Gastronomie. Wie verhalten sich die Menschen?

Dryndova: Viele gehen kaum mehr in Cafés, gehen seltener einkaufen, meiden Ansammlungen. Es gibt eine Art Volksquarantäne: Viele Menschen haben von selbst mit sozialer Distanzierung begonnen.

STANDARD: Weißrussische Fußballteams bekamen zuletzt viele ausländische Fans, weil sie als einzige noch Meisterschaft spielen. Wie sieht man das im Land selbst?

Dryndova: Die Spiele finden seit einiger Zeit weitgehend ohne Fans statt. Die Menschen haben von sich aus Verantwortung übernommen und boykottieren sie.

STANDARD: Sehen Sie einen Autoritätsverlust Lukaschenkos, der sich auf die Präsidentenwahl im Sommer auswirken könnte?

Dryndova: Die Opposition ist sehr schwach und wird Lukaschenko sicher nicht gefährlich. Aber auch ein autoritärer Herrscher will der Welt und den eigenen Leuten zeigen, dass er die Unterstützung des Volkes hat. Ergebnisse zu fälschen ist relativ leicht, aber sinkendes Vertrauen in den Staat während der Pandemie könnte einen schlechten sozialen Hintergrund für die Wahl bilden und das Desinteresse an ihr noch erhöhen.

STANDARD: Wie passt da das zivilgesellschaftliche Engagement in der Corona-Krise dazu?

Dryndova: Das sind zwei verschiedene Dinge. Viele glauben nicht an Wahlen als Mittel politischer Veränderung und haben einfach keine Lust, beim Wahlzirkus mitzumachen. Die belarussische Bevölkerung ist politisch sehr inaktiv – nach dem Motto: Dort oben, irgendwo im Kosmos, ist der Staat, und hier unten, hier sind wir. Das zivile Engagement in der Corona-Krise aber ist etwas anderes. Die Menschen haben es geschafft, sich unabhängig vom Staat zu organisieren. Sie haben erkannt: Wir müssen uns selbst schützen, weil der Staat uns nicht schützt. (Gerald Schubert, 17.4.2020)