Noch vor Kurzem hätte ich es nicht für möglich gehalten, doch seit sechs Wochen ist plötzlich fast jeder Virologe geworden. Für uns zwei Gesundheitsjournalistinnen im STANDARD sind wegen des Virus harte Zeiten angebrochen. Jeder weiß etwas, hört etwas, hofft oder fürchtet sich vor etwas: Ein ziemlich ausgefuchster Mix an Wahrheiten, Halbwahrheiten und Unsinn, den es zu bestätigen, zu entkräften oder zu ignorieren gilt.

Und eines kann ich in diesem Tagebuch vielleicht auch verraten: Diejenigen, die sich mit Viren und Pandemien so richtig gut auskennen, haben immer die Ruhe weg. Aufgeregt sind die, die Angst haben, sie sind derzeit in der Überzahl.

Abgesehen davon gibt es aber tatsächlich sehr viel Ernsthaftes zu berichten. Von Wissenschaftern zum Beispiel, die alle auf Hochtouren arbeiten und ihre Erkenntnisse am laufenden Band rausschießen. Lesen, mit Experten sprechen, sich in Bereiche einarbeiten, über die bislang (fast) noch nie Geschichten geschrieben wurden – zum Beispiel über Labormedizin und Testverfahren, das hat nur wenige interessiert.

Gesundheits-Ressortleitern Karin Pollack turnt sich derzeit nonstop durch die Welt der Viren, der Gerüchte und Hoffnungen.
Foto: Pollack

Sorgfalt trotzdem

Check, Re-Check, Double-Check: Dieses Grundprinzip halten wir hoch. Denn es gibt viele, die aus der Krise Kapital schlagen wollen mit irgendeinem Produkt, einem Verfahren oder sonst irgendetwas. Nach dem Prinzip: Hilft es nicht, schadet es auch nicht. Falsche Hoffnungen (und Ängste) bringen niemanden weiter. Unser Problem dabei ist, dass das Virus erst vier Monate bekannt ist. Auf vieles gibt es einfach noch keine Antworten.

Kurzum: Es gibt unendlich viel zu tun. Und weil mich das Virus tatsächlich stark interessiert, ist Kurzarbeit mein größtes Problem. Seit es sie gibt, trage ich Vollzeit Jogginghosen, lebe mit Kopfhörern und dröhne mich täglich mit Infos, Podcasts und Webinars zu. Auch irgendwie geil, aber ungesund. Für die Ohren, die Augen und meine Psyche, die zurück ins wirkliche Leben will.

Freizeit auch online

Denn auch das spielt sich nur auf Bildschirmen ab. Der Sprachkurs ist in Zoom, das Virus hält mich aber ab, Vokabeln zu lernen. Die Turnstunden im Fitnesscenter finden auf Youtube im Wohnzimmer statt. Irgendwo ist immer ein Staubwaudel, der mich die anstrengenden Übungen auslassen lässt. Selbstdisziplin hat auch Grenzen. Mehr als alles vermisse ich aber die Menschen. Dass soziale Isolation krank macht, ist auch eine medizinisch bewiesene Tatsache. Was ich mir wünsche? Dass die Virologen von heute die Psychologen von morgen sein werden. (Karin Pollack, 18.4.2020)