Theater für den Heimbildschirm: "Der Kreisky-Test" von Nesterval (Brut).

Rita Brandneulinger

Die Familie Nesterval bietet Theaterstoff für die Ewigkeit. 2011 hat sich die gleichnamige Performancegruppe als fiktive Familie formiert und involviert seither ihr Publikum an spezifischen Orten in meist mysteriöse Spielformate. In Corona-Zeiten läuft das über die Zoom-App am Bildschirm, die nun viele Theater vertrauensselig verwenden. Man verschafft sich von zu Hause aus Zutritt zur Welt der Nesterval’schen Protagonisten und macht dabei sowohl Bekanntschaft mit der Prosa der virtuellen Welt – "Der Host hat Ihre Breakout-Session begonnen" –, aber auch mit dem einen oder anderen Bettwäschedesign des Publikums in Quarantänewoche fünf.

In nur kurzer Zeit hat die Nesterval-Gruppe ihre Produktion Der Kreisky-Test auf IsolationsStandard gebracht: ein moderiertes Mitspielerlebnis am Bildschirm. Pirscht man bei Nesterval für gewöhnlich wie bei einer Schnitzeljagd frei durch ein aufwendig ausgestattetes Areal (ein Dorfgasthaus oder ein Sanatorium), so wird man nun von den unsichtbaren Spielleitern am Bildschirm verschoben und via Chat mit Aufgaben betraut.

Große Sozialdemokratin

Der Kreisky-Test dreht sich um eine der vielen geheimnisumwobenen Damen der Nesterval-Sippe: Gertrud Nesterval, große Sozialdemokratin der 1970er-Jahre, aber aus der Partei geflogen und fortan verschollen. In Sachen Atomkraft blieb sie ihrem Parteichef Bruno Kreisky nicht treu. Hat er sie etwa "entfernt"? Nichts Genaues weiß man nicht. Dokumente ihrer zukunftsweisenden Politik sind indes erhalten. Kernstück ist nämlicher "Kreisky-Test", ein Katalog sozialdemokratischer Werte, nach dem die Besten gecastet werden, um eine neue Gesellschaft aufzubauen. Das Publikum darf testen. Aufgeteilt in Gruppen, befragen wir die Castingteilnehmer und können so entscheiden, wer glaubwürdig eine sozial gerechte Welt aufbauen würde.

Ein Gewinn ist der Umstand, dass nicht nur örtliches Publikum dabei sein kann, sondern auch Menschen aus Innsbruck oder Bielefeld. Und irgendwann kommt die Gretchenfrage: Würden Sie aus strategischen Gründen eine rechte Partei wählen? Na? Schnell scharf nachdenken!

Der Bildschirmauftritt hat gewiss seine Grenzen, das Spielformat ist aber die dafür noch am ehesten geeignete Theatergattung. Im Herbst kommt dann die mit dem Brut produzierte Echtversion. Vorfreude! (afze, 17.4.2020)