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Videos in Slow Motion und mit pathetischer Musik unterlegt zeigen uns, wie Großstädte derzeit aussehen: Gähnende Leere auf dem New Yorker Times Square, ebenso am Fuße des Eiffelturms, die spanische Treppe in Rom ist verwaist. Dort, wo bis vor kurzem tausende Touristen flanierten, herrscht Leere. Wird sich das nach der Corona-Krise ändern, wieder der Massentourismus einsetzen? Oder ist der Lockdown eine Zäsur, die in Zukunft zu einer nachhaltigeren Art des Verreisens führt? Das haben wir Harald Friedl, der Tourismuswissenschaften an der FH Joanneum in Bad Gleichenberg lehrt, gefragt.

STANDARD: Herr Friedl, vor drei Jahren haben Sie in einem Interview gesagt, dass sich der Massentourismus nicht mehr ändern wird. Gilt das noch?

Friedl: Kurzfassung: ja. Langfassung: In dieser Branche stecken enorme Investitionen und jede Menge Kapital. Immer mehr Länder sind immer tiefer in den Tourismus involviert. Im Grunde genommen ist es wie Drogenhandel. (lacht) Der Tourismus ist eine Industrie der Lügen, wir produzieren Märchen. Die Leute glauben die Märchen von den Paradiesen. Sie kaufen und erwarten sie, und die Tourismusindustrie produziert sie. Wir stecken alle mit drin.

STANDARD: Und wir wollen immer mehr davon, vor allem jetzt ...

Friedl: Genau. Wir reisen ja jetzt nicht deshalb nicht, weil wir plötzlich die Schönheit des Ruhens entdeckt haben, sondern weil wir nicht können und dürfen. Blaise Pascal sagte mal: "Das ganze Unglück der Menschen rührt allein daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen." Aber nach vier oder sechs Wochen im Zimmer halten wir es kaum aus. Sogar ich, der ich Nachhaltigkeit predige, hätte jetzt große Lust zu verreisen.

STANDARD: Unser derzeitiger Zustand hat also nichts mit Nachhaltigkeit zu tun?

Friedl: Auch wenn die Ökofaschisten jetzt jubeln und sich über Corona freuen, muss ich Ihnen sagen: Wenn dieser Zustand länger andauert, wird es gefährlich. Immer mehr Menschen sind von dem Stillstand betroffenen und verlieren die Perspektive. In vielen Ländern, die nur auf Tourismus setzen, bricht jetzt alles weg.

STANDARD: Es gibt aber eine Zeit nach Corona. Werden wir in Zukunft genauso verreisen wie davor?

Friedl: Wir haben jetzt über Jahrzehnte die Lust am Reisen gelernt. Dieser kollektive Lustgewinn ist gerade weg, es ist wie ein Entzug. Es wird Tourismus also weiterhin geben, die staatlichen Restriktionen werden langsam, aber doch abgebaut werden. Die Bedingungen, die zur Entwicklung des Massentourismus geführt haben, bleiben aber: Mobilisierung der Gesellschaft, Ausbreitung des Wohlstands, Reisefreiheit, mehr Freizeit und entsprechende Angebote.

STANDARD: Werden wir die Infrastruktur schnell wieder aktivieren?

Friedl: Ja, der Flugverkehr zum Beispiel steht weitestgehend still, aber der Experte für nachhaltigen Flugverkehr Paul Peters prognostiziert, dass der derzeitige Lockdown lediglich eine kleine Delle verursachen wird. In seiner Prognose, die bis 2100 reicht, geht die Entwicklungskurve des Flugverkehrs steil bergauf.

STANDARD: Wie kann in Zukunft nachhaltiger Tourismus trotzdem gelingen?

Friedl: Was den Flugverkehr betrifft, ist die Nachhaltigkeit eher durch technologische Veränderungen – Stichwort flüssiger Wasserstoff in Brennstoffzellen – herbeizuführen als durch bewussten Verzicht. Wobei die Lust am langsameren, regionalen Verreisen auch durch Angst gestärkt wird, denn Flugzeuge sind Virenschleudern. Wir müssten allerdings auch eine vernünftige Balance zwischen regional und global herstellen. Zu viel Regionalisierung kann natürlich auch zu einer gefährlichen Renationalisierung und Abschottung führen. (Olivera Stajić, 19.4.2020)