Die Corona-Krise ist eine Verteilungsfrage, finden Gabu Heindl, Architektin in Wien und derzeit Gastprofessorin in London, und Bettina Köhler, Stadtforscherin und Universitätslehrende. Die beiden haben einen offenen Brief initiiert, der mittlerweile mehr als 100 Unterzeichnenden hat. Im Folgenden der Text als Gastkommentar.

In der Corona-Krise zeigt sich einmal mehr die existenzielle Rolle von Wohnraum. Es wird zugleich deutlich, dass diese Krise (die Phase der Akutmaßnahmen wie auch die der mittelfristigen sozio-ökonomischen Effekte) auch eine Verteilungsfrage ist – bestehende gesellschaftliche Ungleichheiten werden weiter verschärft. Während immer mehr Mieterinnen und Mieter mit Existenzschwierigkeiten kämpfen, bleiben die Gewinne der Wohnimmobilienwirtschaft unhinterfragt. Wie sieht eine faire Verteilung der Kosten aus, sodass die Lasten der Krise gemeinsam getragen werden und nicht – einmal mehr – die Öffentlichkeit oder die Mieterinnen und Mieter zahlen?

Besonders im Bereich Wohnen zeigt sich, wie ungleich Menschen von der Krise betroffen sind. An einer Covid-19-Infektion kann zwar jede und jeder erkranken, die Möglichkeiten, sich davor oder vor existenziellen Folgen zu schützen, sind jedoch in der Gesellschaft ungleich verteilt. Durch die aktuell getroffenen Maßnahmen sind finanziell schwächere Menschen in beengten und unsicheren Wohnverhältnissen stärker belastet und haben zudem oft geringere Möglichkeiten, entstandene Einnahmenausfälle zu kompensieren.

An Covid-19 kann jeder erkranken, die getroffenen Maßnahmen dagegen belasten finanziell schwächer Gestellte stärker.
Foto: AFP / Ina Fassbender

Was bedeuten die Maßnahmen in Bezug auf Covid-19 für Menschen ohne Wohnung, für Menschen, deren Mietvertrag ausläuft oder deren geringes Einkommen durch Corona nun noch geringer ist, aber auch für kleine Gewerbetreibende? Zu Hause bleiben, die Tür hinter sich schließen ist für die (ohne Dunkelziffer) knapp 23.000 Menschen in Österreich, die wohnungslos sind, gar nicht möglich, auch nicht für Menschen in übervollen Flüchtlingsunterkünften. An den Grenzen Europas droht eine menschengemachte Katastrophe. Währenddessen stehen Wohnungen und Hotelzimmer leer. Für Menschen, die in ihrem Haushalt gewaltgefährdet sind, werden die Wohnplätze in Notunterkünften und Frauenhäusern knapp. Wohnen ist zudem immer mehr als Wohnen: Untrennbar vom Wohnraum ist auch der Freiraum, zu dem nicht jeder Mensch gleichen Zugang hat. Die Covid-19-Krise verschärft also Wohnungsnot und weitere damit zusammenhängende Formen von Diskriminierung und Benachteiligung.

Durch die Gefährdung zahlreicher Existenzen aufgrund von entfallenden Einkünften, Verschuldung durch Mietrückstände und zu befürchtender Insolvenz droht zudem ein sozial und kulturell desaströser Verlust von lokalen Angeboten (etwa im Bereich Kultur, Nahversorgung, soziale Dienstleistungen), deren Rolle als regionale Versorgungsstruktur nicht zuletzt durch die aktuellen Entwicklungen deutlich wurde. Es handelt sich dabei um Infrastrukturen, die mit Engagement und persönlichem Risiko das öffentliche Leben bereichern, den urbanen Raum beleben und zur sozialen Stabilität und Grundversorgung beitragen.

Wer zahlt für die Kosten der Krise – jetzt und in Zukunft?

Zugleich stellt sich bereits jetzt die Frage, wie die Kosten für die Bewältigung der mittel- und langfristigen Folgen der Krise verteilt werden. Die gesellschaftlichen Entwicklungspfade einer Zeit nach Corona werden schon jetzt ausverhandelt. Ohne entschiedene weitere Maßnahmen ist zu befürchten, dass gesellschaftlich bereits benachteiligte Gruppen weiter an den Rand gedrängt werden und die Polarisierung der Gesellschaft sich verschärft.

In einer Situation, in der durch die Krise zahlreiche Lohnabhängige und Selbständige ihre Einnahmen und mitunter ihre Existenzgrundlagen verlieren, können die Gewinne aus Immobilieneigentum nicht unhinterfragt bleiben. An den Kosten der Corona-Krise muss auch die Immobilienwirtschaft beteiligt werden. Als heterogenes Feld umfasst diese etwa neben national und international agierenden institutionellen Anlegerunternehmen und Finanzinvestorinnen und -investoren auch gemeinnutzorientierte und Kleinvermieter und -vermieterinnen. Für Härtefälle aus dem Kreis der einkommensschwächeren Vermieterinnen und Vermieter sollen geeignete Hilfsmaßnahmen entwickelt werden. (Laut einer Wifo-Studie von 2019 gehen in Österreich rund fünf Prozent der Einnahmen allgemein aus Vermietung und Verpachtung an das untere Einkommensdrittel, während das oberste Drittel rund 80 Prozent lukriert.)

Bisher getroffene Maßnahmen greifen zu kurz

Auch laut der UN-Menschenrechtskommission ist Wohnen ein Schlüsselbereich, in dem die Auswirkungen der Pandemie bekämpft werden können und müssen. Wiener Wohnen und die Gemeinnützigen Wohnbauvereinigungen haben einen Delogierungsstopp eingeführt und bieten Stundungen an. Eine weitere Reihe von Maßnahmen wurde auch von Bund, Ländern und Kommunen in Österreich bereits getroffen, zuletzt im Rahmen des Zweiten Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu Covid-19 in der Justiz. Diese beziehen sich auf:

- Mietstundungen: Mieterinnen und Mieter, die im Zeitraum bis Ende Juni 2020 in Zahlungsrückstand geraten, können demnach aufgrund des Rückstands bis 2022 nicht gekündigt werden, die Miete kann mit bis zu vier Prozent erlaubten Verzugszinsen gestundet, ab 2021 eingeklagt werden. Das nachträgliche Begleichen von Mietschulden (inklusive des Fortzahlens der laufenden Miete) kann jedoch für Menschen mit niedrigen Einkommen existenzgefährdend sein.

- Befristungen: Auslaufende Mietverträge können laut Regelung einvernehmlich verlängert werden. Anstelle eines Verlängerungsrechts macht dies Mieterinnen und Mieter jedoch weiterhin vom guten Willen ihrer Vermieterinnen und Vermieter abhängig – und dies in einer Situation, in der Wohnungssuche kaum möglich ist. Die Abhängigkeit durch Befristung ist auch in Nicht-Corona-Zeiten ein Problem, das Ungleichheit schafft und verstärkt. Befristungen im Mietrecht sind zudem ein wesentlicher Treiber für steigende Mieten.

- Räumungsstopp: Räumungen können auf Antrag der Mietenden bis drei Monate nach Ende der derzeitigen Maßnahmen aufgeschoben werden, allerdings kann die vermietende Partei argumentieren, dass "zur Abwendung schwerer persönlicher oder wirtschaftlicher Nachteile" eine Räumungsexekution unerlässlich ist.

Wir halten also fest, dass diese gesetzten Maßnahmen zu kurz greifen, und fordern umfassendere und mutigere Maßnahmen zum Schutz der Mieterinnen, Mieter und Menschen in Wohnungsnot. Dabei schließen wir uns auch einer Reihe von Forderungen für die Zeit der Corona-Krise und darüber hinaus an, wie sie Wissenschafterinnen und Wissenschafter in anderen europäischen Ländern ebenso wie Betroffenen-Initiativen erhoben haben:

- Es braucht gezielte Sofortmaßnahmen für besonders vulnerable Gruppen: die Stärkung der Mittel und Kapazitäten von Frauenhäusern und von Initiativen gegen häusliche Gewalt; die Evakuierung der Flüchtlingslager, die Aufnahme von Geflüchteten durch Österreich; die Öffnung von Hotels, AirBnB und leeren Wohnungen für Wohnungs- und Obdachlose.

- Eine nachhaltige Wohnungspolitik: die Aussetzung von jeglichen Kündigungen und Mieterhöhungen während der Corona-Krise, langfristig die Stärkung von Mieterinnen- und Mieterschutz und bezahlbarem Wohnraum; keine Anhäufung von Mietschulden und Stundungszinsen in der Corona-Krise, sondern klare Regelungen zu Mietzinsreduktion und zum Mietenerlass; das Recht auf Verlängerung von befristeten Mietverträgen während der Corona-Krise; und ganz allgemein: Stopp der Befristungsmöglichkeit von Mietverträgen (Kündigungen nur bei Eigenbedarf).

- Eine faire Kostenteilung in der Krise. Auch die Immobilienwirtschaft ist in die Pflicht zunehmen: Die durch Krisen – wie die Covid-19-Krise – entstehenden Ausfälle von Mietzahlungen (nicht Betriebskosten) sollen auch durch die Immobilieneigentümerinnen und -eigentümer abgedeckt werden. Diese Kostenteilung soll dazu beitragen, dass Mieterinnen und Mieter durch Mietschulden nicht zu einem späteren Zeitpunkt in existenziell noch bedrohlichere Lagen geraten. Für dadurch in Not geratende Vermieterinnen und -mieter kann etwa ein Härtefonds errichtet werden, der aus jenen Gewinnen der Immobilienwirtschaft dotiert ist, die nicht in gemeinnützigen Wohnbau re-investiert werden.

Für die Zukunft sollte die Chance genutzt werden, aus der Krise zu lernen und eine verlässliche, zugängliche und sozial-ökologisch nachhaltige öffentliche Infrastruktur zu erhalten und auszubauen; insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Wohnen, soziale Grundversorgung. Dabei gilt es, mit der neoliberalen Logik einer Privatisierung der Gewinne und Vergesellschaftung der Verluste zu brechen und das Menschenrecht auf Wohnen zu stärken. (18.4.2020)