Hundertmal umkreiste Thomas Moore seinen Garten. Und sammelte damit knapp 22 Millionen Euro.

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Die Totenzahlen folgen der italienischen Kurve, Bedienstete im Gesundheitswesen behelfen sich mit selbstgebastelten Masken und Schutzanzügen, die Regierung hat gerade erst den Lockdown um mindestens drei Wochen verlängert – verzweifelt halten die Briten dieser Tage Ausschau nach guten Nachrichten.

Da schlurft, wie auf Kommando, ein Weltkriegsveteran durch die Medien und direkt in die Herzen der Nation: Hauptmann Thomas ("Captain Tom") Moore wollte seinen 100. Geburtstag am Monatsende nicht einfach so verstreichen lassen. Mithilfe seiner Tochter richtete der 99-Jährige in der Karwoche einen Spendenaufruf an die Öffentlichkeit und bat um 1.000 Pfund (1.149 Euro) für das Nationale Gesundheitssystem NHS. Im Gegenzug werde er 100-mal jeweils 25 Meter im Garten des Familienanwesens in der Grafschaft Bedfordshire auf- und abgehen.

Bald musste der alte Herr die tägliche Leibesübung unterbrechen, weil ihn zunächst lokale, dann nationale, schließlich auch internationale Radio- und Fernsehanstalten interviewen wollten. Und so exponentiell wie die Erkrankten-Kurven stieg die Summe, die Hunderttausende von Briten zu Ehren von Captain Tom spendeten.

Die ursprüngliche Summe war bereits am Karfreitag erreicht. Als Moore am Donnerstagmorgen, fein gekleidet im blauen Blazer mit seinen Militärorden, zum 100. Mal mit seinem Gehwagen durch den Garten spazierte, waren mehr als zwölf Millionen Pfund auf der Just-Giving-Website eingegangen, "eine absolut fantastische Summe", wie der Ex-Soldat in seinem glasklaren Akzent, dem sogenannten Queen's English, mit einem Hauch seiner nordenglischen Heimat Yorkshire, zu Protokoll gab.

Improvisation und Tatkraft in Krisenzeiten

Nicht nur die Aussprache erinnert die Briten unwillkürlich an ihre Monarchin. Moore verkörpert auch jene Tugenden, auf die sich die Nation in der Krise zurückbesinnt: Tatkraft, Improvisationsvermögen, Zusammenhalt – und jener kühle Stoizismus, die berühmte "steife Oberlippe", der zuletzt in den Wellen eines Ozeans von Sentimentalität und Ichbezogenheit untergegangen zu sein schien. Nicht zuletzt teilen beide die Weltkriegserfahrung. Während die damalige Prinzessin Elizabeth als Automechanikerin ihren Dienst leistete, kommandierte Moore Truppenteile in Indien und Burma, arbeitete später als Ausbilder motorisierter Einheiten.

Die knapp 94-jährige Königin hat ihren Untertanen kürzlich in einer kurzen TV-Ansprache Mut gemacht: "Wir können uns damit trösten, dass wir uns wiedersehen." Ganz ähnlich drückte es Captain Tom aus, als er gefragt wurde, wie man denn mit der derzeitigen Krise umgehen solle. "Ich denke einfach: Morgen wird ein guter Tag sein. So habe ich es immer gehalten." Schon macht der Hashtag "Tomorrow will be a good day" auf Twitter Furore.

Alte Menschen besonders betroffen

Zur Begeisterung über Moores Initiative trägt gewiss bei, dass die Ermutigung von einem Angehörigen jener Generation kommt, die genau wie anderswo besonders von Sars-CoV-2 betroffen ist. Einer Aufstellung der Statistikbehörde ONS zufolge waren im März 70 Prozent der an Covid-19 Verstorbenen im Alter über 75 Jahren.

Erst in den vergangenen Tagen haben die Briten gelernt, dass die Regierung bisher jene Tote gar nicht gezählt hatte, die in Alten- und Pflegeheimen verstorben waren, ohne noch ins Krankenhaus eingeliefert zu werden. Zunehmend rücken, neben den NHS-Bediensteten, auch jene Hunderttausende von Pflegekräften ins Blickfeld der Öffentlichkeit, die sich um die immer älter werdende Bevölkerung kümmern.

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Auch Künstler setzen sich bereits mit Tom Moore auseinander. Hier in Pontefract.
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Er selbst habe Behandlungen gegen Hautkrebs sowie vor zwei Jahren eine Hüftoperation hinter sich, berichtete Moore der BBC und schwärmte von seinen "wunderbaren" Erfahrungen: "Ich wurde von allen Beteiligten geduldig und freundlich behandelt, das war wirklich erstaunlich." Solange die Spendenfreude seiner Landsleute nicht abreißt – bis Freitagmittag waren umgerechnet 21,1 Millionen Euro zusammengekommen –, will der rüstige Rentner nun weiter spazieren.

Geld für Gesprächstherapien und Spielzeug

Das Geld kommt einem Zusammenschluss großer und kleiner Wohltätigkeitsorganisationen zugute, die sich um die Angestellten und Patienten von NHS-Einrichtungen kümmern. Dazu zählen Gesprächstherapien für Krankenschwestern auf der Intensivstation ebenso wie Spielzeug für krebserkrankte Kinder. Ausdrücklich ausgeschlossen von der Finanzierung sind sogenannte Kernaufgaben wie die Gehälter der rund 1,2 Millionen NHS-Bediensteten oder die Beschaffung von Schutzkleidung, die in der Corona-Pandemie allerorten knapp zu werden droht.

Eine Krankenschwester in Liverpool dankt – zu Tränen gerührt – "Captain Tom".
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Traditionell erhalten alle 100-Jährigen an ihrem Jubeltag eine Grußkarte der Queen. Diesmal könnte sich zur Gratulation der Monarchin noch eine ganz besondere Würde hinzugesellen. Eine Petition, den munteren Greis zum Ritter zu schlagen, erhielt binnen weniger Stunden mehr als eine halbe Million elektronischer Unterschriften. Prompt versicherte Downing Street, Premierminister Boris Johnson werde nach seiner Genesung von der schweren Covid-19-Erkrankung "natürlich Wege prüfen, Captain Tom für seinen heldenhaften Einsatz zu danken".

Was er selbst denn von einem möglichen Ritterschlag halte, fragten prompt die TV-Reporter den Spaziergänger. "Na ja, Sir Thomas Moore klingt doch recht gut", lautete die verschmitzte Antwort. (Sebastian Borger aus London, 17.4.2020)