Vorerst wird es keine Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau geben.
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Laut am Freitag veröffentlichten Zahlen haben sich in Russland erstmals mehr als 4.000 Menschen an einem Tag mit Sars-CoV-2 angesteckt. Auch bei den Todesfällen wurde mit einem Plus von 41 ein neuer trauriger Tagesrekord erreicht. Doch die Spitze des Pandemiebergs ist noch lange nicht erreicht.

"Die nächsten Wochen werden schwer", stimmte Moskaus Vizebürgermeisterin Anastassija Rakowa die Hauptstädter auf harte Zeiten ein. Ihren Worten nach wird die Epidemie in Moskau erst in zwei bis drei Wochen auf ihrem Höhepunkt sein. Ziemlich genau zum Tag des Sieges, der in Russland am 9. Mai begangen wird.

Eigentlich hatte sich der Kreml zum 75. Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland eine besonders pompöse Militärparade ausgedacht: 14.000 Soldaten sollten über den Roten Platz marschieren, und es sollte jede Menge schweres Gerät darüberrumpeln, darunter auch der atomar bestückte Atomraketenkomplex Jars und die neue Hyperschallrakete Kinschal (Dolch). Doch angesichts der rapide steigenden Infektionszahlen hat Präsident Wladimir Putin diese Pläne nun zu den Akten gelegt. Nach längerem Überlegen entschied er, die seit 1995 jährlich stattfindende Militärparade zu verschieben.

Heiliger Feiertag, heiliges Menschenleben

Putin sprach einer "schweren Wahl". "Sowohl das Datum am 9. Mai ist uns heilig, als auch das Leben eines jeden einzelnen Menschen", sagte er auf einer Sitzung des nationalen Sicherheitsrats. Die Risiken bei einer Durchführung seien allerdings zu groß. Der Kreml-Chef versprach, sowohl die Militärparade als auch die dazugehörige Massenkundgebung "Unsterbliches Regiment", bei der die Russen mit den Porträts ihrer im Krieg gefallenen Vorfahren durch die Stadt marschieren, noch heuer nachzuholen.

Für den Kreml ist die Militärparade ein zentrales Ritual. Der Sieg im Zweiten Weltkrieg hat für das Selbstbewusstsein der Russen enorme Bedeutung. Durch den Rückgriff auf die Geschichte, verbunden mit der Demonstration eigener militärischer Stärke, versucht die russische Führung durchaus erfolgreich eine Konsolidierung der eigenen Basis, speziell bei den konservativen Kreisen der Bevölkerung.

Auch Volksbefragung verschoben

Es ist nicht die erste vom Kreml geplante politische Großveranstaltung, die wegen der Corona-Krise abgeblasen werden musste. Auch die von Putin initiierte Volksbefragung zur Verfassungsänderung musste aufgeschoben werden. Eigentlich wollte sich Putin von den Russen auf diese Weise eine Verlängerung seiner Amtszeit absegnen lassen. Doch die für den 22. April, den 150. Geburtstag von Wladimir Lenin, geplante Abstimmung musste bereits zuvor abgesagt werden, nachdem Putin wegen Covid-19 den gesamten April für "arbeitsfrei" erklärt und die Russen gebeten hatte, zu Hause zu bleiben.

Beide Veranstaltungen werden nun voraussichtlich in den Herbst verschoben. Vorausgesetzt, dass nicht eine bereits prognostizierte zweite Ansteckungswelle auch diese Pläne durcheinanderbringt. Für den Kreml birgt insbesondere die Verschiebung des Referendums Gefahr: Weltweit schädigt die Corona-Krise die Wirtschaft. In Russland ist dieser Schlag aber doppelt so schwer, weil zugleich auch noch die Preise für Öl, Russlands wichtigstes Exportgut, drastisch gefallen sind.

Schon jetzt deutet sich an, dass die Arbeitslosigkeit drastisch steigt und der Lebensstandard sinkt. Das dürfte soziale Unruhen befeuern – und auch die politische Unzufriedenheit im Land mehren. Es wird damit deutlich schwerer, die Bürger zur Abstimmung zu motivieren. (André Ballin, 17.4.2020)