Foto: Redrum Books

Die Genrekonvention will es, dass ein Apokalypseroman erst mal mit der Beschreibung einer ganz normalen Alltagsszene beginnt – um uns noch einmal vor Augen zu führen, was verloren gehen wird. Die Corona-Krise allerdings will es, dass sich diese vermeintliche Normalität derzeit selbst wie eine Botschaft aus einer anderen Welt liest: Am Anfang von "Weltenbruch" steht nämlich ein kilometerlanger Stau auf der Autobahn. 2015, als die deutsche Autorin Moe Teratos ihren Roman ursprünglich veröffentlichte, hätten die leeren Autobahnen des gegenwärtigen Frühlings ihrerseits wie Science Fiction gewirkt. Und auch Anfang 2020, als der Verlag Redrum Books Teratos' Buch noch einmal herausgab, waren sie noch nicht abzusehen. So schnell kann's gehen!

Wie sich die Welt von einer Minute auf die andere grundlegend wandeln kann, das erlebt auch der Ich-Erzähler des Romans, Markus Dolff. Eben noch steckt er mit Frau und Kindern in einem sommerlichen Superstau im Ruhrgebiet, als es plötzlich donnert und ein waberndes Leuchten über den Himmel zieht. Und dann ... regnet es Fauna der nicht-irdischen Art. Die erste Welle bilden Horden hüpfender Pelztiere, die sich umgehend daran machen, Autos wie Konservendosen voller Menschenfleisch zu öffnen.

Atemlos durch die Hölle

Ab diesem Zeitpunkt ist die Handlung ein einziger Überlebenskampf. Markus und ein paar anderen gelingt es, vom Grauen auf der Autobahn ins nahe Krefeld zu flüchten, wo allerdings ebenfalls ein Massaker stattgefunden hat (oder in Teratos' markigen Worten: eine Bluthölle). Die Anzeichen verdichten sich rasch, dass die biologische Invasion ein weltweites Ereignis ist, und die mörderische Fauna wird vielfältiger. Da hätten wir etwa fünf Meter große Motten mit Saugrüssel, fleischfressendes Moos, humanoide Dinger mit Giftstachel, deren Beschreibung mich irgendwie an das Monster aus der schwarzen Lagune denken ließ, oder Riesenmonster jenseits des Sauropoden-Formats.

Einen menschlichen Widersacher braucht's gemäß Genrekonvention natürlich ebenfalls (auch wenn dessen Motivation und Verhalten nicht gerade überzeugend wirken). Und als ultimativer Schrecken schallt an einer Stelle auch noch Helene Fischers "Atemlos" durch die Gegend. Moe Teratos, deren Romane sich zumeist an der Grenze von Horror und Thriller bewegen und sich stets in Gewaltdarstellungen suhlen, schreckt wirklich vor keiner Unappetitlichkeit zurück.

Implausibilitäten

Nähere Erklärungen, warum und wie sich da Tore in eine andere Dimension(?) geöffnet haben, bleiben aus. Auch die Funktionsweise des dortigen Ökosystems gibt Rätsel auf – wie in den meisten Fällen solcher Geschichten scheint es fast nur aus Raubtieren zu bestehen, die noch dazu in Permanenz fressen müssen. Und die zwar eine fremdartige Körperchemie haben, von der die Verdauung aber nicht betroffen zu sein scheint. Sonst würden ihnen die Menschen nicht so gut bekommen.

Aber das ist wie gesagt nicht nur in "Weltenbruch" so, sondern genretypisch. Da stört mich schon eher, dass Markus mitten im Überlebenskampf nichts Besseres zu tun hat, als sich Teenie-Bezeichnungen wie Jumper oder Acids für die diversen Alien-Spezies auszudenken. Die einzig denkbare Motivation dafür kann nur sein, dass er der Autorin ein Geschenk machen wollte, damit sie beim Erzählen etwas Griffiges zur Hand hat. Eine Frau, die Markus unterwegs trifft, hat die Biester übrigens ebenfalls Jumper benannt, was für ein bemerkenswerter Zufall!

Markige Worte

Teratos' Sprache ist schlicht und zweckorientiert (was ich nach dem Geplapper von Drew Williams' "Sternenpuls" als angenehme Abwechslung empfand) und insgesamt gut gelaunt – vor allem dann, wenn uns die Autorin wieder mal einen extrablutigen Einfall reindrücken kann. (Also die Idee mit der vergessenen Patientin im Operationssaal war schon exzeptionell grauslich ...)

Mitunter ist die Wortwahl etwas daneben, allerdings gibt es auch Passagen, in denen Teratos die Glorie des Groschenromans so gekonnt heraufbeschwört, dass ich vergnügt applaudiert habe. Etwa: Der drohende Lauf einer Schrotflinte ließ noch jede Puppe tanzen. Oder diese Passage: Die Toilette, der Boden und die Wände waren mit Kot beschmiert – aber erst in der Badewanne wartete der besondere Leckerbissen.

Das Grundszenario von "Weltenbruch" ist unverkennbar an Stephen Kings zweimal verfilmte Novelle "The Mist" ("Der Nebel") angelehnt. Moe Teratos – würde mich echt interessieren, wie unominös ihr bürgerlicher Name klingt – hat hier gewissermaßen deren räudige Direct-to-DVD-Version abgeliefert. Ganz nach dem Motto ihres Verlags: "Nichts für Pussys!"