Die Löwen des Krüger-Nationalparks sehen die Ausgangsbeschränkungen der Menschen entspannt.

Foto: EPA / RICHARD SOWRY/KRUGER NATIONAL PARK

Gelegentlich wird der Mensch des traurigen Umstands gewahr, dass er etwas vermisst, dies aber nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Zum Beispiel die Natur. Hier in Südafrika sind darunter vor allem wilde Tiere zu verstehen, denen der Mensch mehr oder weniger große Gebiete reserviert hat, um sich dort selbst entspannen zu können. Solche Reservate sind in der Regel rund um die Uhr und rund ums Jahr geöffnet, denn das Entspannungsbedürfnis des Homo sapiens kennt keine Grenzen und keine Saison.

Ganz selten kommt es allerdings vor, dass die Wildparks für die Verspannten dichtgemacht werden, etwa weil diese gefährliche Erreger mit sich herumschleppen. Dann werden die Menschen von ihren Leithammeln zu Hause eingesperrt – und die wilde Tierwelt atmet auf.

Vom Krüger-Park sind derzeit Bilder von Löwenrudeln zu sehen, die sich auf einer ansonsten dicht befahrenen Teerstraße räkeln, auf der außer ein paar Ranger-Jeeps inzwischen kein einziges Auto mehr verkehrt. Spätestens jetzt versteht man, unter welchem Stress die Könige der Tiere angesichts der täglichen Staus im Park zu leiden haben. Sie müssen sich ständig im Busch verstecken, ohne sich von oben die Sonne und von unten den warmen Teer aufs Fell brennen zu lassen.

Safari von der Couch aus

Es wäre allerdings gelacht, wenn sich der Mensch mit seiner Vertreibung aus dem Naturparadies so einfach abfinden würde. Ein paar pfiffige Homines digitales haben jetzt Wege gefunden, wie sie ihren eingesperrten Artgenossen trotzdem die therapeutische Erfahrung des wilden Tierreichs nahebringen können – eine Erfindung, die sie treffsicher "virtuelle Safari" nannten. Dabei begibt sich der Ranger, statt von einem guten Dutzend Gäste nur von einem Kameramann begleitet, auf den Weg, um wilde Tiere aufzuspüren, was dann live auf der Webseite des Tierreservats oder in sozialen Netzwerken übertragen wird.

Auf die ersten vier Blicke überzeugt das Reality-TV im Naturreservat. Erstens kann der eingesperrte Naturfreund die gewöhnlich frühmorgens zum Sonnenaufgang oder spätnachmittags in der Dämmerung unternommenen Game-Drives auf der Couch bei einem Glas Wein genießen und muss sich nicht, im offenen Jeep frierend, stundenlang durchschütteln lassen. Zweitens braucht keiner zu befürchten, neben dem irgendwie immer präsenten lauten US-Amerikaner zu sitzen zu kommen, dessen Teleobjektiv dir entweder in die Rippen sticht oder die Nase zertrümmert. Drittens können gut ausgestattete Tierreservate sogar mehrere Teams gleichzeitig ausschicken, um dann nur den interessantesten der Feeds auszustrahlen: Auf diese Weise ist der Zuschauer stets ganz nah am Tier und verschwendet keine Zeit mit ereignisloser Hin-und-her-Fahrerei.

Schließlich können die Ranger auch wie im wirklichen Leben mit allen möglichen dummen Fragen gelöchert werden: Die interaktive Technologie mit ihrem Chat-Modus macht's möglich.

Reiz vs Bequemlichkeit

Bei so vielen guten Gründen ist davon auszugehen, dass uns die virtuellen Safaris wie viele andere während der Corona-Katastrophe ersonnenen Errungenschaften auch nach dem Sieg über das Virus begleiten werden – zur Freude der Löwenmeute und des Rests der wilden Tierwelt. Wer allerdings schon einmal einen Game-Drive erlebt hat, weiß, dass der eigentliche Reiz des Originals ausgerechnet aus dem besteht, was bei der virtuellen Version peinlichst vermieden wird. Das viel zu frühe Aufstehen, das dich bereits in einen Vorzustand der Trance versetzt; das stundenlange ereignislose Durcheinandergeschütteltwerden, das diesen Zustand noch verstärkt; und die ungewohnten Gerüche, die die Erregung ihrem Höhepunkt zuführen. Und wenn sich dann endlich das wilde Tier zu erkennen gibt, ist die Verzückung perfekt – auch wenn es sich dabei nur um einen seine Beute rollenden Mistkäfer handelt. (Johannes Dieterich, 20.4.2020)