Grafik zur Lage der Pressefreiheit 2020.

Das Coronavirus stellt auch die freie Rede auf den Prüfstand. Länder, die Medien und Journalisten unter Druck setzen, tun dies bei der Berichterstattung über Covid-19 erst recht. Dieser Eindruck spiegelt sich in der aktuellen Weltrangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen klar wider: Sowohl China (177) als auch der Iran (173) kontrollieren die Nachrichtenlage über das Virus massiv. Im Irak (162) entzogen die Behörden Reuters drei Monate lang die Lizenz, nachdem das Unternehmen einen Artikel veröffentlicht hatte, in dem es offizielle Coronavirus-Zahlen infrage stellte. Der ungarische Premierminister Viktor Orbán verabschiedete ein Coronavirus-Gesetz, nach dem das Verbreiten von "Falschnachrichten" mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft wird. Ungarn rutschte in der Liste um weitere zwei Plätze ab und liegt nun auf dem 89. Rang.

"Schockdoktrin"

"Die Krise der öffentlichen Gesundheit bietet autoritären Regierungen die Gelegenheit, die berüchtigte 'Schockdoktrin' umzusetzen, die Tatsache auszunutzen, dass die Politik auf Eis liegt, die Öffentlichkeit fassungslos ist und Proteste nicht infrage kommen, um Maßnahmen durchzusetzen, die in normalen Zeiten unmöglich wären", sagt Reporter-ohne-Grenzen-Generalsekretär Christophe Delore.

Österreich rutscht im aktuellen Ranking um zwei Plätze ab und liegt nun auf "ausreichendem" Rang 18 (-2). Den neuerlichen Verlust erklärt Rubina Möhring, Österreich-Chefin von Reporter ohne Grenzen, mit steigendem Druck auf unabhängige und kritische Berichterstattung: "Nach dem Ibiza-Video und der Auflösung der Regierung haben die ehemaligen Regierungsparteien ihre Strategien zur Schwächung der ihnen unliebsamen Medien im Land konstant fortgeführt", sagt Möhring.

"Überdimensionierter PR-Apparat des Kanzlers"

Die STANDARD-Bloggerin nennt als Gründe für das schlechte Abschneiden etwa das gerichtliche Vorgehen der ÖVP gegen den Falter, aggressiv auftretenden Boulevard, die beabsichtigte Zerschlagung des ORF und den "weiterhin überdimensionierten PR-Apparat des Kanzlers mit dutzenden Helferinnen und Helfern der Message-Control". Möhring: "Die Angriffe auf die Pressefreiheit, die unter Schwarz-Blau vermehrt in Österreich zu beobachten waren, haben weder seit Ende der schwarz-blauen noch mit Antreten der schwarz-grünen Regierung ein Ende genommen. Deshalb zeigt uns die Verschlechterung in der Rangliste der Pressefreiheit vor allem, dass wir wachsam bleiben und Presse- und Informationsfreiheit aktiv verteidigen müssen."

Der Weltindex für Pressefreiheit wird seit 2002 jährlich von Reporter ohne Grenzen veröffentlicht und misst den Grad der Medienfreiheit in 180 Ländern und Gebieten. Er bewertet Pluralismus, Unabhängigkeit der Medien, Umfeld und Selbstzensur, den rechtlichen Rahmen, Transparenz sowie die Qualität der Infrastruktur. Er bewertet nicht die Regierungspolitik.

Auf Basis dieser Parameter verschickt die Organisation einen Bogen mit 117 Fragen an Expertinnen und Experten – an Kommunikationswissenschafter, Journalisten, Presseräte und Journalistenvertreter. Der aktuelle Index umfasst das Kalenderjahr 2019

Norwegen und Finnland voran, Nordkorea und Turkmenistan Schlusslichter

Norwegen führt den Index im Jahr 2020 zum vierten Mal in Folge an, während Finnland erneut den zweiten Platz belegt. Dänemark (+2 auf Platz 3) steht an nächster Stelle, da sowohl Schweden (-1 auf 4) als auch die Niederlande (-1 auf 5) aufgrund der zunehmenden Cyberbelästigung zurückgegangen sind. Am anderen Ende des Index hat sich wenig geändert. Mit Nordkorea (-1 auf 180) hat Turkmenistan den letzten Platz belegt, während Eritrea (178) nach wie vor das am schlechtesten bewertete Land Afrikas ist.

Malaysia und Malediven rücken auf, Haiti rutscht weit ab

Malaysia (101) und die Malediven (79) verzeichneten den größten Anstieg im Index. Den drittgrößten Sprung machte der Sudan (159), der nach der Absetzung von Omar al-Bashir um 16 Plätze aufstieg. Die Liste der größten Rückgänge im 2020-Index wird von Haiti angeführt, wo Journalisten in den vergangenen zwei Jahren bei gewaltsamen landesweiten Protesten häufig ins Visier genommen wurden. Haiti verliert 21 Plätze und liegt nun auf Rang 83.

Neben dem Virus sieht Reporter ohne Grenzen die Zukunft des Journalismus durch weitere fünf Krisen bedroht:

  • Die geopolitische Krise geht einher mit dem Erstarken diktatorischer, autoritärer und populistischer Regime. Diese würden alles alles daran setzen, um Informationen zu unterdrücken und ihre Visionen von einer Welt ohne Pluralismus und unabhängigen Journalismus durchzusetzen. Autoritäre Regime haben ihre schlechten Platzierungen beibehalten. China versuche eine "neue Weltmedienordnung" zu errichten und halte an seinem System der Informationskontrolle fest. Dessen negative Auswirkungen auf die ganze Welt seien während der Coronavirus-Krise im öffentlichen Gesundheitswesen zu beobachten waren, kritisiert Reporter ohne Grenzen. China, Saudi-Arabien (+2 auf 170) und Ägypten (-3 auf 166) bezeichnet die Pressefreiheitsorganisation als "die weltweit größten Kerkermeister unter den Journalisten". Immer ausgefeiltere Mittel setze Russland (Platz 149) ein, um Informationen online zu kontrollieren, während Indien (Platz 142, -2) in Kaschmir die längste elektronische Ausgangssperre der Geschichte verhängt habe. In Ägypten würden Anschuldigungen wegen "gefälschter Nachrichten" als Grund dafür benutzt, den Zugang zu Websites und Webseiten zu sperren und die Akkreditierung zu entziehen.
  • Das Fehlen einer angemessenen Regulierung im Zeitalter der digitalisierten und globalisierten Kommunikation habe zu einem Informationschaos und zu einer technologischen Krise geführt. Propaganda, Werbung, Gerüchte und Journalismus stünden in direkter Konkurrenz zueinander. "Die wachsende Verwirrung zwischen kommerziellen, politischen und redaktionellen Inhalten hat die demokratischen Garantien von Meinungs- und Redefreiheit destabilisiert", diagnostiziert Reporter ohne Grenzen. Dies fördere die Verabschiedung gefährlicher Gesetze, die ein härteres Durchgreifen gegen unabhängigen und kritischen Journalismus ermöglichen. Die Pandemie habe die Verbreitung von Gerüchten und gefälschten Nachrichten ebenso schnell verstärkt wie das Virus selbst. Staatliche Trollarmeen in Russland, Indien, den Philippinen (-2 auf 136) und Vietnam (Platz 175) würden die Waffe der Desinformation über soziale Medien einsetzen
  • Die Krise der Demokratie schlägt sich laut Reporter ohne Grenzen im Weltindex der beiden vorangegangenen Jahre nieder: "Wachsende Feindseligkeit und sogar Hass gegenüber Journalisten" seien zu beobachten. Diese Krise habe sich nun noch verschärft. Sie habe zu schwerwiegenderen und häufigeren physischen Gewalttaten geführt und damit in einigen Ländern ein "noch nie da gewesenes Maß an Angst hervorgerufen". Donald Trump in den USA (+3 auf 45) und Jair Bolsonaro in Brasilien (-2 auf 107) würden weiterhin Medien verunglimpfen und Hass auf Journalisten in ihren Ländern schüren.
  • Darüber hinaus beklagt Reporter ohne Grenzen eine Vertrauenskrise im Umgang mit Medien: Medien würden immer mehr verdächtigt, Nachrichten zu verbreiten oder zu veröffentlichen, die durch unzuverlässige Informationen verunreinigt sind. Journalisten würden so zur Zielscheibe des Zorns der Öffentlichkeit. Nationalistische oder rechtsextreme Aktivistengruppen hätten Journalisten in Spanien (29.), Österreich (-2 auf 18), Italien (-2 auf 41) und Griechenland (65) offen ins Visier genommen haben.
    Die Wirtschaftskrise hat auch die Phänomene der Eigentumskonzentration und noch mehr die Interessenkonflikte verschärft, die den journalistischen Pluralismus und die Unabhängigkeit bedrohen. Die Übernahme der Central European Media Enterprises (CME) durch den reichsten Milliardär der Tschechischen Republik habe mehrere osteuropäische Länder, in denen CME einflussreiche Fernsehsender kontrolliert, alarmiert.
  • Nicht zuletzt eine durch die digitale Transformation ausgelöste ökonomische Krise habe die Medien in vielen Ländern in die Knie gezwungen. Sinkende Verkaufszahlen, der Einbruch der Werbeeinnahmen und der Anstieg der Produktions- und Vertriebskosten, der vor allem mit dem Anstieg der Rohstoffpreise zusammenhänge, hätten die Nachrichtenorganisationen gezwungen, umzustrukturieren und Journalisten zu entlassen. In den USA zum Beispiel seien in den letzten zehn Jahren die Hälfte der Medienarbeitsplätze verloren gegangen. Diese wirtschaftlichen Probleme haben soziale Folgen und wirken sich auf die redaktionelle Freiheit der Medien in aller Welt aus. (Doris Priesching, 20.4.2020)