Jäger im Paläolithikum bedienten sich eines umfangreichen Arsenals an Holzwaffen – zu diesem Schluss kommen Archäologen der Universitäten Tübingen und Liége angesichts eines Rekordfundes im niedersächsischen Schöningen. Dort wurden bei Ausgrabungen in einem Braunkohletagebau bereits vor einigen Jahren Speere und eine Lanze aus Fichten- und Kiefernholz gefunden. Nun haben die Wissenschafter einen ebenfalls dort entdeckten Wurfstock im Detail untersucht.

Der 64,5 Zentimeter lange Wurfstock wurde vor 300.000 Jahren angefertigt.
Foto: V. Minkus

Wie sie im Fachblatt "Nature Ecology & Evolution" berichten, handelt es sich dabei um das älteste Exemplar einer solchen Waffe weltweit. Hergestellt wurde der 300.000 Jahre alte Stock von Homo heidelbergensis, der sie bei der Jagd auf Wasservögel oder für Treibjagden auf größere Beutetiere wie Pferde eingesetzt haben dürfte.

Geschickte Jäger

Für Studienerstautor Nicholas Conard zeigt der Fund, dass die Menschen schon vor 300.000 Jahren hochwertige Waffen in Kombination einsetzten: "Nur dank der fabelhaft guten Erhaltungsbedingungen in wassergesättigten Seeufersedimenten in Schöningen können wir die Evolution der Jagd und die vielfältige Nutzung von Holzwerkzeugen dokumentieren."

Der Wurfstock ist wie die meisten Speere aus der Fundstätte aus Fichtenholz gefertigt, ist 64,5 Zentimeter lang, hat in der Mitte einen maximalen Durchmesser von 2,9 Zentimetern und wiegt 264 Gramm. Eine Seite ist leicht gebogen, die andere relativ flach. "Die Einschlagspuren im mittleren Bereich können wir mit australischen und tasmanischen Wurfhölzern vergleichen. Das verrät uns erstmals auch, wozu das Gerät genutzt worden ist", sagt Conard.

Wurfstöcke sind keine unbekannten Jagdwaffen. Sogenannte Rabbit Sticks oder Killing Sticks wurden auch in Nordamerika, Afrika und Australien genutzt. Die Waffen erreichten Entfernungen zwischen fünf und mehr als 100 Metern, wie Gerlinde Bigga von der Universität Tübingen erklärt. Sie hat die Anatomie der Holzwaffe analysiert.

So könnte die Nutzung der Waffe ausgesehen haben.
Illustration: Benoit Clarys

Effektive Waffe

Anders als Bumerangs kehrten die Wurfstöcke aber nicht zum Werfer zurück, sondern bewegten sich in gerader Richtung, erklärt Grabungsleiter Jordi Serangeli. "Sie sind effektive Waffen über verschiedene Entfernungen, unter anderem bei der Jagd auf Wasservögel." Das belegten auch Knochen von Schwänen und Enten aus derselben Fundschicht in Schöningen. Nach Einschätzung der Forscher könnten mit solchen Stöcken aber auch größere Säugetiere wie Pferde aufgeschreckt und in eine bestimmte Richtung getrieben worden sein.

Zugerechnet wird die Waffe dem Homo heidelbergensis, aus dem sich vor etwa 200.000 Jahren die Neandertaler entwickelten. Die Trennlinie zwischen diesen ausgestorbenen Menschen ist allerdings fließend. Die Waffenfunde und die Analyse des Wurfstocks würden unser Bild von diesen Menschen verändern, schreiben die Forscher. Bisher sei man häufig davon ausgegangen, dass der Homo heidelbergensis meist von der Hand in den Mund lebte. "Aber sie waren stets Herr der Lage, sie haben eigentlich immer genau gewusst, was sie machen", zeigt sich Conard überzeugt. Mit komplexen Waffen wie Speeren und Stöcken seien sie sehr wahrscheinlich "an der Spitze der Nahrungskette gewesen". (red, APA, 26.4.2020)