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Mit Jan Valetov stellt uns Piper einen Autor aus der Ukraine vor, der zwar schon einige Bücher auf dem Konto hat, doch ist bis jetzt keines davon in eine westliche Sprache übersetzt worden. Kurz zusammengefasst: "Zone" ist eine herkömmliche Post-Pandemie-Erzählung mit jeder Menge Gewalt, und leider zählt zu den zahlreichen Opfern auch die Sprache. Obwohl im Großen und Ganzen zu Ende erzählt, deutet ein Schlusseffekt darauf hin, dass eine Fortsetzung nicht ganz ausgeschlossen ist. Ausschließen kann ich allerdings, dass ich diese lesen werde.

Zum Plot

Knapp 100 Jahre vor der Handlungszeit ist ein Virus aus einem Labor ausgebrochen, das bis in die Gegenwart nachwirkt und inzwischen mythisierend der Gnadenlose genannt wird: Ziemlich genau zum 18. Geburtstag setzt eine rapide Vergreisung ein, die den Betroffenen binnen einer Stunde mumifizieren lässt. Und infiziert ist jeder. Die Konsequenz: In einer Welt ohne Erwachsene sind die Jugendlichen in eine brutale Stammesgesellschaft zurückgefallen, in der der am häufigsten fallende Satz "Verreck doch als Erster!" lautet. "Zone" versucht also kurz gesagt das Szenario von William Goldings Klassiker "Der Herr der Fliegen" auf globaler Ebene heraufzubeschwören.

Der Schauplatz der Handlung, der sich über Orte wie City, Town oder Park (einen ehemaligen Vergnügungspark für Kinder) verteilt, ist bewusst vage gehalten – erst im zweiten "Buch" des dreigegliederten Bands erfahren wir, wo wir uns tatsächlich befinden. Ist aber auch nicht so wichtig. Park jedenfalls ist die für sein Zeitalter typische Stammesgesellschaft, in der alle Burschen jagen und Krieg führen müssen, während alle Mädchen Heim und Herd zu hüten, vor allem aber am laufenden Meter Kinder zu gebären haben.

Dieser Weg wird ein weiter sein

Die beiden Hauptfiguren sind für ihre vorgesehenen Geschlechterrollen allerdings nicht geschaffen. Die burschikose (und in Sachen Gewalt ziemlich skrupellose) Belka hat sich schon länger in die Einsiedelei abgesetzt. Als Bücherwurm Tim, zumeist nur Nerd genannt, wegen seiner Unfähigkeit bei der Jagd gelyncht werden soll, ist Belka aber zur Stelle und rettet ihn. Zusammen machen sie sich auf den Weg zu einem Ort, an dem es ein Gegenmittel gegen das Virus geben soll, wie Tim im Tagebuch einer Zeitzeugin gelesen hat. Am Einband von "Zone" fällt das Wort "Antivirus" (was immer das sein soll), später ist von einem "Gegengift" die Rede. So richtig durchdacht ist das Konzept nicht.

Der Weg dorthin zieht sich jedenfalls länger als der der Zwerge aus der "Hobbit"-Filmtrilogie zum Einsamen Berg. Vor allem deshalb, weil Tim und Belka von einem wütenden Mob aus immer mehr Stämmen verfolgt werden, die alle gerne das "Antivirus" hätten. Hauptsächlich wird also gekämpft und noch mehr gekämpft.

Der Funke der Hoffnung erlischt rasch

Dieser Teil endet mit einem Cliffhanger, und ehe die Handlung in "Buch 3" weitergehen kann, hat Valetov brutal einen 150-seitigen Mittelteil reingerammt, der uns in die Tage des Pandemieausbruchs zurückführt. Der fängt vielversprechend an, verfällt aber nur allzu bald in denselben Rennen-Schießen-Massakrieren-Modus, den wir schon kennen. Binnen zwei Wochen sieht die Welt schon so aus wie 97 Jahre später.

Hauptfigur dieses Teils ist Hanna, die besagtes Tagebuch geschrieben hat. Interessanterweise wird nie erwähnt, dass sie tatsächlich darin schreibt – wie auch nie beschrieben wird, wie Tim darin liest. Das Tagebuch hätte jede Menge Möglichkeiten geboten, die beiden Zeitebenen elegant zu verbinden. Stattdessen korrespondieren die verschiedenen Romanteile überhaupt nicht miteinander. Dazu kommen Logikmängel: Woher kannte Hanna Details, die am Ende potenziell lebensrettend werden könnten? Gut, ihr Vater war Geheimnisträger in einer militärischen Einrichtung – aber kennt sie sich deshalb im Laboralltag aus? Und dass sich das Virus damals anscheinend mit Lichtgeschwindigkeit ausgebreitet hat, sollte auch nicht unerwähnt bleiben. Again: schlecht durchdacht.

Gnadenloser Spracheinsatz

Der Strohhalm, der dem Kamel dann endgültig den Rücken bricht, ist die Sprache. "Zone" wird in einem derart uneinheitlichen Stil erzählt, dass der Lesefluss immer wieder ins Stocken gerät. Arsch und Po kommen nicht aus derselben Welt, bitte eine Entscheidung treffen. Großteils setzt Valetov auf Vulgärsprache, was zu den dreckigen Umständen durchaus passt – dazwischen schieben sich dann aber auch gestelzte Metaphern, hölzerne Formulierungen und Stilblüten wie: Seine Waffe spuckte in der Tat ihr Feuer bereits aus. Hoffentlich in einen Napf.

Und warum tragen manche Stammesangehörige anglisierte Namen wie Runner oder Rubbish, während andere Schlitzer und Trauerkloß heißen? Normalerweise würde ich solche Inkongruenzen auf eine schlechte Übersetzung schieben. Allerdings habe ich von derselben Übersetzerin auch schon Romane von Sergej Lukianenko gelesen, und da ist mir nichts dergleichen aufgefallen. Vielleicht war also doch das Rohmaterial bescheiden, und niemand hatte die Nerven, es zu veredeln – weder in Übersetzung noch Lektorat. Und ein strengeres Lektorat hätte der Roman dringend benötigt: Um ihn sprachlich zu glätten, aber auch, weil er für das, was geboten wird, viel zu lang ist.

Zum Stichwort Jan Valetov sind im Netz fast nur Kopien der Piper'schen Kurz-Biografie zu finden. Auf der Suche nach ausführlicheren Informationen bin ich dann endlich über einen offenbar mit Google Translate erstellten Text gestoßen, der Valetovs Schaffen glorifiziert und zugleich einige zum Schreien komische Formulierungen enthält, wie sie nur maschinelle Übersetzungen zustande bringen. So wird dort als eine von Valetovs Stärken "Fiktion bekämpfen" genannt (gemeint war wohl sowas wie Military Action) ... Gut, so destruktiv würde ich mein Urteil über "Zone" nicht formulieren. Aber empfehlen kann ich ein Buch natürlich auch nicht, das gedankenlose Sätze enthält wie: In ihr war vorübergehend etwas gestorben oder eingefroren. Wie man es halt sehen wollte.