Die Distanz bleibt gewahrt: "Davos" demonstriert, wie die Eliten und der Rest der Stadt kaum miteinander in Kontakt kommen.

Foto: European Film Conspiracy

Wo früher eine Buchhandlung stand, prangt jetzt das Wölkchen des Cloud-Computing-Anbieters Salesforce. Facebook hat gleich ein Haus aufstellen lassen, während sich Polen um die Ecke als "Can-Do-Nation" feiert. Die Player der Weltwirtschaft und ihre Leitmedien residieren in Davos Tür an Tür, wenn einmal im Jahr das World Economic Forum (WEF) tagt. Zuzusehen, wie die Infrastruktur des restlichen Jahres hinter den Logos starker Marken verschwindet, ist ein symbolträchtiges Schauspiel.

Für die Schweizer Alpinstadt ist das WEF "ein UFO", sagen die Filmemacher Daniel Hoesl und Julia Niemann, auf dessen Landung man sich monatelang vorbereitet. Alle Ortsansässigen würden sich dem Geschehen beugen, schon aus ökonomischer Räson. Hoesl und Niemann haben für ihren Dokumentarfilm Davos ein Jahr lang dort gelebt. Am Freitag (24. 4.) feiert die Arbeit als einziger österreichischer Wettbewerbsbeitrag bei der Online-Ausgabe des Festivals Visions du réel seine Weltpremiere.

So gehen nur die Eidgenossen selbst zur Sache: Am diplomatischen Parkett vermeidet man Konfrontationen.

Hoesl und Niemann werfen nicht nur einen Blick hinter die Kulissen des WEF, sondern durchkämmen die Gesellschaft dieser so abgeschiedenen wie perfekt vernetzten Stadt. In Davos komme es zu einer "zynischen Nachbarschaft von Dingen", wie Niemann bemerkt, "die eigentlich kaum etwas miteinander zu tun haben und plötzlich eng aneinanderrücken." Ein treffendes Sinnbild für Globalisierung, findet sie.

Tatsächlich werden in Davos die unterschiedlichen Geschwindigkeiten unserer Welt besonders augenscheinlich: wie unter einer Lupe. Einer der ersten Szene führt zu einer Bergbauernfamilie, die mit Komplikationen bei der Geburt eines Kalbs ringt. Die seit Generationen ähnliche Arbeit der Bauern nimmt man ganz ausdrücklich als eine körperliche wahr. Am anderen Ende der Skala kann man einen Manager dabei mitverfolgen, wie er von seinem Hotelzimmer aus virtuelle Konferenzen absolviert. Mit Mehrwert: Man sieht, wie er die kleine Performance seiner Skills genießt.

visionsdureel

"Es ist die krassestmögliche Darstellung des Konflikts, in dem wir uns alle bewegen", sagt Hoesl, der schon in seinen Spielfilmen (Soldate Jeanette) ein Auge für schizophrene Wirklichkeiten bewiesen hat. "Diese superglatte Zerankochfeldputenbrustwelt im Hilton, auf der anderen Seite diese wahnsinnig liebenswürdigen Bauern." Eilfertige Parteinahmen erlaubt sich der Film jedoch keine. Beobachtung im Direct-Cinema-Modus steht hier immer an erster Stelle – ein Blick auf die Ränder des Großereignisses, die Spiegelungen und Zerrbilder, dies es umgeben. Oder die harte Arbeit des Dienstleistungssektors rund um das Event oder bereits davor.

Das zeigen, was ausgespart wird, war die Losung, sagt Niemann. "Wir haben auch aus der Not eine Tugend gemacht, denn für unsere Art des Filmens sind die Arbeitsbedingungen dort sehr schwierig." Dass den Medien in engen Slots die Kritik schwerfällt, sieht man in jener Szene, in der WEF-Gründer Klaus Schwab vom Schweizer Journalisten Stefan Klapproth mehr als amikal interviewt wird. Unbequeme Fragen bleiben höflich unbeantwortet.

Transitzentrum als Gegenmodell

Die Kluft, die den Film bestimmt, ergibt sich aus dem Nebeneinander gesellschaftlicher Blasen, privilegierten und weniger privilegierten, die nicht wirklich in Berührung kommen. "Das Gegenmodell zum WEF ist das Transitzentrum, dort ist es genauso international", bekräftigt Hoesl. Auch in Davos gibt es Migranten.

Um den Kongressteilnehmern ein Gefühl von deren Dasein zu vermitteln, setzt das WEF auf ein Simulationsspiel, ähnlich wie immersives Theater. Man kann sich in das Leben eines Flüchtenden hineinversetzen, mit einiger Drastik, bestätigt Niemann, "da wird man regelrecht durchgeprügelt."

Das bizarre Angebot bringt den Abstand der WEF-Elite zur restlichen Welt noch einmal treffend auf den Punkt. Die Stärke von Davos liegt darin, für diese Gleichzeitigkeit von Realität und Simulation, physischer und virtueller Arbeit eine fast surreale Sensibilität zu entwickeln. "Komplett widersprüchlich und paradigmatisch", nennt Hoesl diesen Zustand selbst. (Dominik Kamalzadeh, 21. 4. 2020)