Im Gastkommentar zeigt Nikolaus Forgó, Professor für Technologierecht, die jahrelangen Versäumnisse im Bereich der Digitalisierung des Schulsystems auf – und erklärt, warum sich daran auch nach der Krise nicht viel ändern wird.

Seit Wochen herrscht Homeoffice. Irgendwie müssen alle damit umgehen, auch Gerichte. Ein Politikwissenschafter berichtet auf Twitter, dass österreichische Gerichte unaufschiebbare Verhandlungen per Zoom durchführen würden (übrigens angeblich zunächst in der Gratisversion). Dies veranlasst einen Lehrergewerkschafter, der im Brotberuf an einer AHS Mathematik und Physik unterrichtet, keine 24 Stunden später zu antworten: "Zoom entspricht nicht der DSGVO und ist daher im Bildungsbereich nicht gestattet." Belehrung erfolgreich. Schülerinnen und Schüler, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, die das einsetzen wollen könnten, in die Schranken gewiesen. Mission accomplished.

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Der Alltag der Schülerinnen und Schüler ist durchdigitalisiert, im Unterricht ist man davon aber noch weit entfernt.
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Das Statement ist zwar keine Antwort auf die Situation an Gerichten, und es ist die DSGVO auch etwas anderes als Mathematik oder Physik, sodass man da vielleicht etwas genauer hinsehen müsste, aber die Position ist dem Autor (oder seiner Organisation?) offenbar trotzdem wichtig genug, um formuliert zu werden.

Und damit ist sie symptomatisch. Die Stellungnahme steht paradigmatisch für ein Systemversagen. Ohne jede Vorbereitung hat man Schülerinnen und Schülern wie dem Lehrpersonal im Lockdown Homelearning verordnet.

Viel Privatinitiative

Lehrerinnen und Lehrer greifen zwangsläufig auf Privatgeräte und auf privat erworbene Kompetenzen zurück. Viele haben sichtlich nie gelernt, wie man E-Learning-Material aufbereiten kann und muss. Internetverbindungen sind zu langsam, Geräte zu alt, Kompetenzen zu gering.

Ob Schülerinnen und Schüler die Infrastruktur haben, das Material auch zu bearbeiten, und wie lange sie dafür brauchen, weiß niemand. Manche Kinder sind seit Wochen für die Schule nicht auffindbar. Über die – endlich als notwendig erkannte – Beschaffung von Geräten entsteht ein Finanzierungskompetenzstreit.

Verwendet werden die Lernplattformen, wenn sie denn funktionieren, von beiden Seiten vor allem dazu, aus dem Internet zusammengeklickte Inhalte up- und downzuloaden. Fast alle Schülerinnen und Schüler haben seit Wochen keinen Kontakt zu Lehrenden in Echtzeit oder gar diese mit Bild und Ton gesehen.

Regulatorisches Minenfeld

Die vereinzelt zu beobachtenden und oft erst nach Wochen eingeführten Videokonferenzen oder – das gibt es trotz allem vereinzelt! – die Nutzung von Kollaborationstools wie Slack oder Discord ist ausschließlich Privatinitiative besonders engagierter Lehrender, die man ob des haarsträubenden regulatorischen Minenfelds, in dem sie sich bewegen, davor nur dringend warnen muss. Von Urheberrecht über Datenschutzrecht bis zum Dienstrecht – überall Verbote, Gefahren, Hindernisse.

Auch das Bildungsministerium verbietet und gibt – mit Ausrufezeichen! – pädagogische Tipps: "Primär sind jene Kommunikationskanäle zu verwenden, die auch im Regelbetrieb zur Verfügung stehen (E-Mail, Webuntis, E-Mitteilungshefte Eduflow, Schoolfox, Schoolupdate etc.). (...) Wenn mit diesen Plattformen nicht das Auslangen gefunden werden kann beziehungsweise diese nicht ausreichend zur Verfügung stehen, können unter diesen besonderen Umständen Apps für soziale Netze (Whatsapp, Signal, Instagram etc.) mit ähnlicher Funktionalität bis zur Wiederaufnahme des Regelschulbetriebs befristet verwendet werden. Bitte berücksichtigen Sie dabei, dass sich diese Apps auch abseits von datenschutzrelevanten Fragen auch aus pädagogisch-didaktischen Gründen nicht für den schulischen Einsatz eignen!"

Warum sich Whatsapp-Videotelefonie nun pädagogisch-didaktisch schlechter eignet als Microsoft Teams oder eine schlecht gewartete Moodle-Installation, verstehe ich zwar nicht. Das ist aber vermutlich egal, denn keiner, der Angst vor Haftung hat und kein absolviertes Jusstudium mit datenschutzrechtlicher Spezialisierung, greift nach solcher Belehrung noch zu irgendeinem dieser Tools. Stattdessen also E-Mail und Textwüsten auf Moodle, als wäre 2005 und als wäre der Alltag der jungen Menschen außerhalb der Schule nicht inzwischen vollständig durchdigitalisiert.

Überall Unklarheit

Kein Wunder, dass man dann die Schülerinnen und Schüler auch so schnell wie möglich wieder in der Schule haben will. Zwar herrscht überall noch Unklarheit, was ab 15. Mai in den Schulen geschehen wird (die wenigen Informationen an Betroffene erfolgten passenderweise bisher nicht selten über E-Mails der Elternvereine), aber eines ist schon seit längerem bekannt: Maturantinnen und Maturanten machen schon am 4. Mai den Anfang.

"Die Maturantinnen und Maturanten erhalten dann drei Wochen lang gezielte Vorbereitung an den Schulen", bis zur (abgespeckten) Matura, heißt es in einem Merkblatt. Was aber muss so zwingend in so wenig Zeit face to face gelernt werden, dass man damit (erhöhte) Infektionsrisiken für Angehörige in Kauf nimmt? Weiß das jemand? Fragt das jemand?

Keine Kompetenz

Damit zeigt auch diese Krise zweierlei: Unser Bildungssystem, erstens, operiert weiterhin an der Digitalisierung vorbei, und, zweitens, selbst eine Krise dieser Größe wird daran nichts ändern, wenn sich sonst nichts ändert.

Unsere Kinder werden weiterhin in chinesische Handys starren und darauf amerikanische Apps nutzen, weil ihre Lehrerinnen und Lehrer nie die Kompetenz, die Freiheit und die Anreize erlangt haben, die digitale Welt, in der sie und ihre Schülerinnen und Schüler leben, verändern und für sich und andere zeitgemäß nutzen zu wollen.

Wenn sich etwas ändern soll, dann muss – endlich – angegangen werden, was unsere Kinder in der Digitalisierung lernen sollen. Ein guter erster Schritt wäre, die Kinder zu fragen, wie sie den derzeitigen Zustand erleben. Mitleid wäre dann eine der positiveren Varianten der Antworten, die wir Ältere bekommen würden. (Nikolaus Forgó, 22.4.2020)