Ein negativer Ölpreis: Plakativer können sich die Auswirkungen der Corona-Krise kaum offenbaren. Die Welt steht still und benötigt keine Treibstoffe. Zumindest noch nicht im Mai – am Montagabend verzeichnete der Terminkontrakt für die US-Ölsorte WTI mit Lieferung im nächsten Monat einen historischen Kursrutsch und fand erst zu negativen Preisen Abnehmer. Ob sich dies für Juni und die Folgemonate wiederholt, hängt davon ab, wie schnell die Welt wieder in die Gänge kommt.

Eines zeigt sich anhand dieser Momentaufnahme ebenfalls – nämlich wie sehr sich die Verhältnisse am globalen Ölmarkt in der vergangenen Dekade verschoben haben. Nicht einmal zehn Jahre ist es her, dass für ein Fass WTI noch mehr als 100 Dollar gezahlt werden mussten, ähnlich ist die Preisentwicklung des Nordseeöls Brent. Was ist geschehen? Nachdem die Förderung konventionellen Öls in den USA zuvor schon länger rückläufig gewesen war, brachte das sogenannte Fracking, das ist die Ausbeutung von Öl und Gas aus Schiefergestein, dem Land den Wiederaufstieg zu den dominierenden Playern am Ölmarkt gemeinsam mit Saudi-Arabien und Russland.

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Die Welt steht still und benötigt keine Treibstoffe.
Foto: REUTERS/Todd Korol

Diese massive Ausweitung der US-Fördermengen brachte die langfristige Wende nach unten bei den Ölpreisen. Diese konnte zwar durch Absprachen des von Saudi-Arabien dominierten Opec-Kartells mit Russland zeitweise gebremst werden, indem diese ihren Ausstoß drosselten. Allerdings hat sich dieses Zweckbündnis als durchaus brüchig erwiesen. Sprich, das Angebot am Ölmarkt wird auch nach der Corona-Krise hoch bleiben, und gleichzeitig erscheint die Entwicklung der Nachfrage nach einem Neustart derzeit noch ungewiss.

Angestrebte Energiewende

Wie sehr die US-Frackingindustrie den Energiemarkt durcheinanderwirbelt, zeigt auch das Beispiel Erdgas, bei dem der Förderboom mit gewissem zeitlichem Vorsprung vor Öl einsetzte. Mit der Folge, dass der Gaspreis in den USA schon vor der Corona-Krise zwischenzeitlich ins Negative gerutscht war, ohne dass die Überkapazitäten dauerhaft vom Markt verschwanden. Ähnliches dürfte sich nun beim Öl wiederholen – mit der Folge, dass die Preise auf absehbare Zeit ziemlich tief bleiben werden.

Wohl begünstigt ein günstiger Ölpreis kurzfristig den wirtschaftlichen Neustart nach der Krise, er birgt aber Gefahren für die angestrebte Energiewende mit dem Langfristziel einer CO2-Neutralität. In Marktwirtschaften stehen verschiedene Energieträger miteinander in Preiswettbewerb, auch erneuerbare mit fossilen Energiequellen. Sind Öl und Gas wesentlich billiger als die klimafreundlichen Alternativen, kann dies die Entwicklung erneuerbarer Alternativen verzögern.

Im Zuge der Aufräumarbeiten nach der Corona-Krise müssen ohnedies fast alle Länder die Sanierung ihrer durch Rettungsaktionen ausgehöhlten Staatsfinanzen angehen. Warum diese Gelegenheit nicht am Schopf packen für eine wohldosierte Ökologisierung der Steuersysteme? Also etwa die Einführung von CO2-Steuern und -Zöllen – am besten auf möglichst breiter internationaler Basis.

Selbst wenn der Stillstand der Corona-Krise den Ausstoß an Treibhausgasen verringert, ist das Problem nicht gelöst. Die Herausforderungen des Coronavirus erscheinen derzeit überwältigend – in vergleichsweise kurzer Zeit werden wir diese Krise aber wohl überwunden haben. Der Klimawandel wird uns jedoch noch auf Jahrzehnte Anstrengungen abverlangen. (Alexander Hahn, 22.4.2020)