Lois Weinberger starb in der Nacht auf Dienstag in Wien.

Foto: Paris Tsitsos

Die Natur ist schwer zu fassen, sagte Lois Weinberger. Der Mann versuchte es trotzdem. Er war ihr auf der Spur wie kein anderer Künstler. Die Natur war ihm Medium, Neugiersland, Forschungsgebiet und künstlerisches Feld, das er zweimal auf der Documenta, auf der Biennale in Venedig und im Rahmen unzähliger Ausstellungen auf der ganzen Welt in Szene setzte, ohne ihr zu Nahe zu rücken. Kunstwelt-weltbekannt wurde er unter anderem mit seiner Installation auf der Documenta X 1997.

Weinberger bepflanzte ein stillgelegtes Eisenbahngleis auf einer Länge von 100 Metern mit allerlei Neophyten, also "eingewanderten" Pflanzen, aus Süd- und Osteuropa. Damit schuf der 1947 im Tiroler Stams geborene Künstler bereits lange vor den Einwanderungswellen eine Installation, die zur international beachteten Metapher für die Migrationsprozesse unserer Zeit wurde und mit ethnopoetischen Bezügen weit darüber hinausführt.

Nicht selten wird Lois Weinberger die Natur als "Motto" seiner Kunst zugedichtet, was angesichts der Gebiete, die der Künstler be- und verarbeitete, zu kurz gedacht ist. Weinberger war Reflektor, Beobachter, Übersetzer, Entdecker, ein Alltagsarchäologe, Überraschungstäter und Erzähler mit filouhaftem Schalk im Nacken. Zu den Buchstaben von Weinbergers konsequenter wie überraschender Formensprache zählt die nickende Bisamdistel ebenso wie Tier-Mumien, Geäst, Stahl, Plastiktaschen, wilder Mauerpfeffer, Stein, Gehörn, Textilien oder Fundstücke vom Wegesrand, die allesamt zu Darstellern seiner Inszenierungen wurden. Kein Medium erschien ihm fremd. "Meine Beschäftigung mit den Dingen ist ein Sichauseinandersetzen mit uns und unserem Handeln", sagte er einmal.

Ja, die Natur, was immer sie auch sein mag, ist schwer zu fassen. Weinberger packte sie am Schwanz, spielte mit ihr und dachte mit ihr, so gut dies ein Mensch tun kann. "Das über Pflanzen ist eins mit ihnen", schrieb der aus Stams stammende Künstler bei einer Installation vor der Kunsthalle Wien im Jahre 1997 auf ein Schild. Dabei stehen Pflanzen für den Künstler für viel mehr als das, was gemeinhin unter diesem Begriff verstanden wird. Den "Garten" verstand er als ein Gebiet, als einen Ort des "Beobachtens", des "Geschehenlassens".

Installation "Ruderal Society: Excavating a Garden" bei der Documenta 14 in Kassel.
Foto: imago/Rüdiger Wölk

Neugier war sein immer auf Hochtouren laufender Motor, betankt mit einer in ihm wohnenden Kraft, Dinge zu sehen und einzuordnen, wie sie einzigartig war. Weinberger war ein scheuer Mensch, und doch reflektierte er seine Sichtweisen aus der Natur auf das Verhalten der Gesellschaft vom Wirtshaus bis zum Parlament. Sein politisch-poetisches Vorgehen legte sich über 35 Jahre wie ein Netz über Randzonen aller Art. Es ging ihm um die Bedeutung von Veränderungen, die weder mit Profanem wie dem "Garten Eden" zusammenhängen, noch auf ästhetische oder örtliche Kriterien festzulegen sind. Weinberger wurde zu einem Empfänger, Sender und Wanderer auf Wegen, die neue Maßstäbe und Blickwinkel ins Bewusstsein der Betrachter seiner Arbeit pflanzte.

Damit hat er die Welt der Kunst nachhaltig verändert. Nicht wenige sahen und sehen ihn als Visionär. Was das heißt? Er erkannte Dinge, die andere nicht sahen, und sei es nur eine "illegal eingewanderte" Pflanze, die er in ein Objekt verwandelte. Seine Sichtweise auf die Dinge, die er in Zeichnungen, Skulpturen, Kunst im öffentlichen Raum, Notizen und Fotografien übersetzte, wird bleiben. Was mehr kann sich ein Visionär wünschen?

Lois Weinberger, der auch als Schauspieler in Christian Bergers Spielfilm "Raffl" in der Hauptrolle zu sehen war, ist in der Nacht auf Dienstag (nicht an Covid) überraschend verstorben. Er lebte mit seiner Frau Franziska Weinberger in Wien, Gars am Kamp und Innsbruck. Wer sich auch akustisch an ihn erinnern mag, soll sich einen Song von John Prine anhören, der ihm vor gut zwei Wochen ins Elysium der Visionäre vorausging. Noch vor kurzem verriet der Künstler, wie sehr er ihn mochte. Mögen die beiden eine gute Zeit haben. Wie heißt ein Song von Prine? "Caravan of Fools". Möge es doch mehr solcher wunderbarer Narren geben. Man möge diesen pathetischen Ausflug verzeihen. Lois Weinberger hätte er gefallen. Der Tod dieses Künstlers ist schwer zu fassen. So wie die Natur. (Michael Hausenblas, 21.4.2020)