"Bei gut eingestelltem Blutdruck gibt es kein erhöhtes Risiko", sagt Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres.

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Zur Risikogruppe für einen schweren Verlauf von Covid-19 gehören neben älteren Menschen auch jüngere mit Vorerkrankungen. All jene, die noch im Arbeitsleben stehen – rund 90.000 Menschen insgesamt –, will die Regierung ab 4. Mai besonders schützen. Wer dazu gehört, entscheiden die niedergelassenen Ärzte. Sie stellen ein Attest aus, mit dem der Arbeitnehmer beim Arbeitgeber entweder einen verstärkten Schutz am Arbeitsplatz, Homeoffice oder eine Freistellung erreichen kann.

Doch wer zählt zur Risikogruppe? Gegen eine konkrete Liste mit Krankheiten habe man sich bewusst entschieden, erklärten die Verantwortlichen bei der Bekanntgabe der Schutzmaßnahmen. Zu den von der Regierung genannten Risikogruppen zählen laut Gesundheitsminister Rudolf Anschober etwa Patienten mit schweren Nieren- und Lungenerkrankungen sowie schweren Krebserkrankungen.

Die Betonung liegt auf dem Wort "schwer", sagt auch der Virologe Christoph Steininger von der Med-Uni Wien. Einerseits ist vieles noch unklar, was die Relevanz von Vorerkrankungen anbelangt, weil es noch keine breiten und damit relevanten Untersuchungen dazu gibt. Dennoch seien bei den bisher in der Literatur beschriebenen schweren Covid-19-Verläufen die Risikofaktoren meist offensichtlich gewesen, so Steininger – etwa fortgeschrittenes Alter oder schwere Vorerkrankungen. Auch Obduktionsergebnisse von gestorbenen Corona-Patienten aus Deutschland und der Schweiz haben bisher gezeigt: Sie alle hatten Vorerkrankungen.

Grunderkrankung mit Komplikationen

Es handelt sich bei jener Risikogruppe, die die Regierung definiert hat, nicht um gut eingestellte Diabetiker oder den "allgemeinen Bluthochdruck", sondern um "spezifische schwere Krankheitsformen", stellte Anschober klar. Und Ärztekammerpräsident Thomas Szekeres ergänzte: "Bei gut eingestelltem Blutdruck oder Diabetes gibt es kein erhöhtes Risiko – nur wenn es durch die Grunderkrankung schon zu Komplikationen gekommen ist."

Wer einen leicht erhöhten Blutdruck hat, müsse sich keine großen Sorgen machen, betont auch Virologe Steininger. Überhaupt sei der häufig genannte Bluthochdruck "sicher nicht der Nummer-eins-Risikofaktor, da gibt es andere, wesentlich schwerwiegendere Ursachen". Etwa eine schwere Herzkrankheit, also Patienten, die schon einmal einen Herzinfarkt hatten und infolge dessen an einer Herzschwäche leiden. Schwere Lungenerkrankungen wie COPD oder schweres Asthma, die durch jahrelanges Rauchen entstehen, befördern ebenfalls einen schweren Verlauf bei Covid-19.

Dementsprechende Ergebnisse liefert auch eine Untersuchung mit 44.700 Patienten aus China: Dort lag die Sterblichkeitsrate bei Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen bei 10,5 Prozent, bei Diabetikern bei 7,3 Prozent, bei Infizierten mit Atemwegserkrankungen bei 6,3 Prozent und bei Bluthochdruck bei 6,0 Prozent.

Ursache und Wirkung

Scheinbar besorgniserregender sind die Daten einer Studie aus Italien, wonach von 355 Verstorbenen mit Corona-Infektion 76 Prozent unter anderem an Bluthochdruck litten. Doch bei der Auswertung dieser Daten kommt es zu einer weiteren Schwierigkeit, auf die Virologe Steininger und andere Experten immer wieder hinweisen. Von Vorerkrankungen, etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sind meist ältere Menschen betroffen, die schon alleine aufgrund der im Alter geringeren Widerstandskräfte zur Risikogruppe zählen. Zudem leiden sie oft an mehreren Erkrankungen gleichzeitig. Auch in der italienischen Studie war das so: Betroffene hatten "unter anderem Bluthochdruck". Bei der Einschätzung müsse man sich folglich immer fragen: "Ist es wirklich die kardiovaskuläre Erkrankung, die kausal dazu beiträgt, dass Covid schlechter verläuft?", sagt etwa Steffen Massberg vom LMU-Klinikum München.

Eine weitere Risikogruppe sind laut Robert-Koch-Institut Diabetiker – wobei auch hier noch unklar ist, ob das Stadium und der Typ der Erkrankung eine Rolle spielen. Auch die Frage, wie gut Betroffene medikamentös eingestellt sind, ist wesentlich für eine Einschätzung. Auch hier deutet einiges darauf hin, dass ein höheres Alter und Begleiterkrankungen ausschlaggebend sind.

Medikamente nicht absetzen

Besonders geschützt werden sollten außerdem Patienten, die Medikamente mit starker Immununterdrückung einnehmen, etwa gegen Autoimmunerkrankungen wie Schuppenflechte, Multiple Sklerose, chronisch-entzündliche Darmkrankheiten, Asthma oder Rheuma. Auch Krebspatienten können durch die Erkrankung, die Therapie oder eine langfristige Medikamenteneinnahme Defizite im Immunsystem haben, die bei einer Infektion schlagend werden.

Wie stark die einzelnen Patientengruppen tatsächlich gefährdet sind, dazu gibt es noch keine eindeutigen Daten. Was jedoch alle Experten raten: Medikamente sollten aus Angst vor Corona keinesfalls ohne ärztlichen Rat abgesetzt werden. Die Gefahr einer Verschlechterung der Grunderkrankung ist dabei in vielen Fällen höher als jene, die von Sars-CoV-2 ausgeht. (Bernadette Redl, 22.4.2020)