Oppositionsführer Matteo Salvini (im Bild vor dem Regierungssitz in Rom) polemisiert beherzt gegen die Deutschen. In umgekehrter Richtung geht es genauso.
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Matteo Salvini hat sich furchtbar aufgeregt: Die deutsche Welt hatte kürzlich gewarnt, die Mafia warte bloß darauf, dass die EU auf Kosten der deutschen Steuerzahler Milliarden nach Italien überweise. Die Deutschen sollten sich gefälligst "den Mund spülen", wetterte der Chef der europafeindlichen Lega. "Ihr habt euch bereichert mit der Einheitswährung, dem Euro, der euch und euren Unternehmen auf den Leib geschneidert ist, und jetzt haltet ihr uns Moralpredigten?"

Dass sich die Deutschen – und auch die Österreicher und Niederländer – als Buchhalter und Schulmeister der EU aufführen, während in Italien die Corona-Toten mit Militär-Lkws abtransportiert werden, empfinden in der Tat viele Italiener als schändlich; der Abwehrreflex gegenüber dem arroganten "deutschen Hegemonen" ist wieder da.

Populistisches Narrativ

Es handelt sich um ein Narrativ, das in diesen Tagen vor allem bei Rechtspopulisten in südeuropäischen Ländern Konjunktur hat. Dass die EU mit dem Segen Deutschlands bereits in ein umfangreiches Hilfspaket eingewilligt hat, wird dabei geflissentlich verschwiegen.

Wie offenkundig verlogen die Propaganda des ehemaligen italienischen Innenministers gegen Deutschland und die EU ist, zeigt sich daran, dass seine Lega am vergangenen Freitag im EU-Parlament gegen die Einführung von Corona-Bonds gestimmt hat. Denn in Wahrheit haben Salvini und Giorgia Meloni, Vorsitzende der rechtsextremen Fratelli d'Italia, null Interesse an einer solidarischen EU: Damit würde ihnen der Sündenbock für alle hausgemachten italienischen Finanz- und Wirtschaftsprobleme abhandenkommen.

Groteske Abstimmung

Auch die größte Regierungspartei, die ebenfalls europaskeptische und populistische Fünf-Sterne-Bewegung, hat gegen europäische Hilfen votiert: Die Grillini stimmten gegen den von Frankreich vorgeschlagenen Wiederaufbaufonds, weil mit diesem stillschweigend auch Kredite des Europäischen Stabilitätsmechanismus in Kauf genommen würden. Dieses groteske Verhalten des Regierungspartners hat die Verhandlungsposition des parteifreien Premiers Giuseppe Conte auf dem EU-Gipfel nicht eben gestärkt.

Der ehemalige Premier und EU-Wettbewerbskommissar Mario Monti meint: "Was die Lega und die Fünf Sterne in Straßburg geboten haben, ist ein tragikomisches Spektakel." Ausgerechnet jene Parteien, die vorgeben, das nationale Interesse über alles zu stellen, hätten dieses mit Füßen getreten, um mit Hetze gegen Deutschland und die EU Stimmen zu gewinnen. Damit hätten sie aber bloß alte Vorurteile gegen Italien bestätigt.

Letztlich ist die Diskussion über die Corona-Bonds in Deutschland und Italien zum Katalysator alter Animositäten und unausrottbarer Vorurteile zwischen den beiden Kulturnationen und ehemaligen Achsenmächten geworden. Jahrzehntealte Klischees werden aufgewärmt und gepflegt – auch in Deutschland, vor allem durch EU-Gegner und Nationalisten. Artikel wie jener in der "Welt" bestätigen viele Italiener in ihrem Gefühl, von den Deutschen zu Unrecht als arbeitsscheu, verschwenderisch und mafiös wahrgenommen zu werden.

Fast alle gegen die Mafia

Aber von faul kann in Wahrheit keine Rede sein: Laut OECD beträgt die durchschnittliche jährliche Arbeitszeit in Italien 1.779 Stunden, während sie bei den Deutschen bei 1.371 Stunden liegt. Als besonders beleidigend empfinden es die Italiener, wenn ihr Land mit der Mafia gleichgesetzt wird. Der allergrößte Teil der Italiener hat mit der Mafia nichts am Hut – im Gegenteil: Im jahrzehntelangen Kampf gegen die Clans haben schon unzählige Richter, Polizisten, Staatsanwälte, Unternehmer, Priester, Journalisten und engagierte Privatpersonen ihr Leben verloren. Sie sind die Helden Italiens – nicht die Bosse.

Das deutsch-italienische Verhältnis war schon immer kompliziert; es ist von gegenseitiger Wertschätzung und gleichzeitig von tiefem Argwohn geprägt. Man könnte es auf den Punkt bringen: Die Deutschen lieben die Italiener für deren Lebensstil und schönes Land – aber sie respektieren sie nicht. Die Italiener wiederum respektieren die Deutschen für ihr Streben nach Perfektion und ihr Organisationstalent – aber sie lieben sie nicht.

Als der "Spiegel" im Jahr 2006 vor dem WM-Halbfinale Italien gegen Deutschland wieder einmal das Klischee der faulen und schlaumeierischen italienischen Muttersöhnchen bediente, erklärte der Mittelfeldstar Gennaro Gattuso aus dem armen Kalabrien: "Solche Sprüche beleidigen weniger mich selbst als Millionen Italiener – wie etwa meinen Vater, der zwölf Stunden am Tag hart gearbeitet hat für einen Monatslohn von tausend Euro." (Dominik Straub, 22.4.2020)