Kaum Präsenz: SPÖ-Obfrau Pamela Rendi-Wagner und NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger.

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Das Coronavirus bringt die politische Opposition zum Verschwinden. Das zeigt die jüngste Analyse der Marktforscher von Media Affairs. 92 Prozent der parteipolitischen Berichterstattung in reichweitenstarken Tageszeitungen Österreichs entfallen auf die Regierung – mehr als 60 Prozent allein auf die ÖVP. Der Opposition bleibt der spärliche Rest: Die SPÖ hat nur fünf Prozent, die FPÖ zwei Prozent und die Neos nur ein Prozent Marktaneil an der medialen Debatte in Krone, Kurier, DER STANDARD, Die Presse, Österreich und Heute. Damit sind alle Oppositionsparteien derzeit unter der Wahrnehmungsschwelle.

Media Affairs beobachtete die Berichterstattung dieser Tageszeitungen zwischen 10. März und 16. April und gewichtete sie nach medialer Reichweite und Berichtstonalität. Darunter versteht man eine nach konkreten Kriterien definierte Abweichung von einer neutralen Berichterstattung in die positive oder negative Richtung. Ausschlaggebend ist die entsprechende Aufarbeitung des Themas durch das Medium oder den Redakteur.

SPÖ Chancen verpasst

Versäumnisse aller Oppositionsparteien im medialen Auftritt sieht Maria Pernegger von Media Affairs: "Die SPÖ hat ihre Chance verpasst, sich mit Pamela Rendi-Wagners Expertise als Ärztin einen Vorsprung zu sichern, und braucht lange, um aufgelegte Themen wie Chancengerechtigkeit oder sich zur Situation am Arbeitsmarkt zu positionieren. Die Arbeiterkammer oder die Gewerkschaft sind hier schneller."

Die FPÖ laboriere noch immer an den Wunden des Ibiza-Skandals. Zudem sei den Blauen mit dem Fehlen des Ausländer- und Flüchtlingsthemas im medialen Diskurs ihr Kernthema abhandengekommen, sagt Pernegger. "Der Vorteil für die FPÖ ist, dass sie eine relativ treue Kernwählerschaft hat."

Neos auf "stumm geschaltet"

Die Neos seien medial gar auf "stumm geschaltet", beobachtet Pernegger. "Sie haben mit Datenschutz und Bildung derzeit zwei Themen, die sie forcieren, sie tun sich aber schwer, in klassischen Medien damit unterzukommen." Keinen Auftrag hätten die Neos in der Wirtschaftspolitik. Sie könnten der ÖVP nur ungenügend die Stirn bieten.

Das bescheidene Abschneiden der Opposition in der medialen Präsenz liege aber nicht nur an der Opposition. Pernegger beobachtet derzeit auch Defizite unter Medien selbst.

Durch die Omnipräsenz der Regierung – gespeist durch tägliche Pressekonferenzen, die etwa von der Kronen Zeitung live übertragen werden, bis hin zu den kostenlosen Werbespots im ORF "Schau auf dich, schau auf mich", die im Namen von Regierung und Rotem Kreuz laufend über die Fernsehbildschirme flimmern – hätten die Oppositionsparteien kaum Chancen, medial sichtbar zu sein. Pernegger: "Sie werden von der Wucht des Kommunikationsapparats der Regierung geradezu überrollt."

Eine Umfrage des Gallup-Instituts bescheinigte zuletzt dem STANDARD höchste Vertrauenswerte. Pernegger geht in vielen Medien die Meinungspluralität ab: "Die Regierung hat zu Beginn der Krise sehr gut und stark kommuniziert. Dann entwickelte sich daraus eine Schieflage, die plötzlich zu einer medialen Exklusivbühne für die Regierungsparteien führte, und dieser Zustand verfestigte sich." In den letzten Tagen zeichne sich hier Bewegung ab, beobachtet Pernegger.

Regierung "rockt" das Feld

Nichtsdestotrotz: Die Regierung "rockt" das Feld, allen voran Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP), der medial als Krisenmanager der Nation punktet und aktuell bei einem Rekordhoch in den Umfragen liegt. Die ÖVP kratzt nach gut einem Monat Corona-Krise schon fast an der Absoluten – fast zehn Prozentpunkte über dem Wahlergebnis aus dem Herbst 2019. Pernegger zum STANDARD: "Kurz gelingt es mit viel Kommunikationstalent, Autorität und gefühlt in täglichen Pressekonferenzen, die Medien auf seine Seite zu ziehen und sich selbst und die Partei so zu profilieren, dass sie in kürzester Zeit enorm an Zustimmung in der Bevölkerung gewinnt."

Dass in einer solchen Phase für Oppositionsparteien nichts zu holen sei, glaubt Pernegger nur bedingt: "Es mag sein, dass man nichts gewinnen kann, aber verlieren kann man jede Menge, und ein Blick auf die Umfragen zeigt sehr deutlich, wie schnell es gehen kann, dass der Kanzler als einziger sichtbarer, engagierter Player in der Krise in Erscheinung tritt und speziell SPÖ und FPÖ schmerzliche Verluste in den Meinungsumfragen hinnehmen müssen." Den Oppositionsparteien empfiehlt sie "inhaltliche Konzepte", sie müssten die Schritte der Regierung hinterfragen und sich notfalls bei Entscheidungen reinreklamieren. "Speziell im Hinblick auf die Wien-Wahl im Oktober gibt es für die Opposition sehr viel zu verlieren, wenn sie nicht stärker in Erscheinung treten kann." (red, 24.4.2020)