Der Theatermacher Giorgio Degasperi wohnt in einem alten Zirkuswagen in der italienischen Einöde. Die Autarkie kommt ihm aktuell entgegen, führt ihm aber auch eine gewisse Einsamkeit vor Augen.

"Ich bin jeden Tag draußen an der frischen Luft. Das geht auch gar nicht anders bei 22 Quadratmetern Wohnfläche! Mal sitze ich einfach da, trinke einen Kaffee, schaue in den Himmel und denke über das Leben nach, mal nehme ich draußen mit dem Gartenschlauch eine Dusche, und mal helfe ich dem Nachbarbauern bei der Feldarbeit. Seit ich hier wohne, haben wir einen Tauschvertrag: Ich bekomme Bio-Gemüse, dafür helfe ich bei ihm, wann auch immer er mich braucht, bei der Ernte mit. Damit komme ich gut über die Runden.

In Giorgio Degasperis Wagen wohnte einst eine Zirkusfamilie. Er kaufte ihn um 7000 Euro.
Foto: Elisabeth Hölzl

Noch vor ein paar Wochen hatte ich Freunde zu Besuch. Wir haben gekocht, gegessen und es uns am Lagerfeuer gemütlich gemacht. Aber jetzt ist alles anders. Das Land ist in einer Schockstarre, es ist eine richtige Tragödie über uns hereingebrochen, wobei Norditalien natürlich besonders schlimm getroffen ist.

Ich bin gespalten, denn einerseits ist mein einsamer Lebensstil in der Einöde ein Segen: Ich bin mehr oder weniger autark, habe alle Ressourcen, die ich brauche, um mich herum, ich kann Kontakte und Menschenansammlungen meiden.

Andererseits aber fühle ich mich traurig, denn nun bin ich wirklich isoliert. Nun ist jeder ein bisschen auf sich selbst gestellt und muss sich und seine Bedürfnisse aktiv organisieren. Ich würde mich gerne auch einbringen und helfen. Aber wie? Corona ist eine sehr mächtige, abstrakte Sache.

Giorgio Degasperis Zuhause ist ein Wagen mit Art-Deco-Touch aus den Fünfzigerjahren – inklusive WC, Fischgrät-Parkettboden, handbemalten Einbauschränken und einer kleinen Badewanne.
Fotos: Elisabeth Hölzl

Seit 2010 wohne ich nun hier am Land, mitten in den Marken im Osten Italiens, in einem Dorf namens Appignano. Ins nächste Geschäft nach Macerata sind es fünf, sechs Kilometer über hügelige Straßen, ich habe kein Auto und keinen Führerschein, muss den Weg zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren, und dafür braucht man ziemlich kräftige Oberschenkel. Nach Ancona sind es rund 50 Kilometer, aber da bin ich nur selten.

Dass ich hier bin, ist ein Zufall. Eine Freundin hatte Platz auf ihrem Grundstück und hat mir das Land günstig verpachtet. Davor war ich mit meinem Wagen im Fabrikhof eines Freundes in Bologna einquartiert.

Fotos: Elisabeth Hölzl

Seit ich denken kann, bin ich immer schon viel unterwegs gewesen, in Europa, in Afrika, in Südamerika. Ich habe immer Theater gemacht, war immer on the Road, immer unter Menschen, und habe in Campingautos und Bussen geschlafen. 2010 bin ich in einer Anzeige auf diesen alten Zirkuswagen gestoßen – ein Wagen aus den Fünfzigerjahren, der bis zuletzt von einer vierköpfigen Zirkusfamilie als Wohnung genutzt wurde. Er war in einem einwandfreien Zustand, mit WC, Fischgrät-Parkettboden, handbemalten Einbauschränken und sogar einer kleinen Badewanne! Die meisten Zirkuswagen sind außen romantisierend mit Holz verkleidet, aber dieser hier hat eine Metallfassade und verströmt einen leichten Art-Deco-Touch. Und das alles für 7000 Euro! Ich konnte nicht widerstehen.

Foto: Elisabeth Hölzl

Ehrlich gesagt habe ich mir erst nach dem Kauf überlegt, was ich damit tun soll. In gewisser Weise, könnte man sagen, hat es den Zirkuswagen gebraucht, um zu verstehen, welche Aufgaben mir in meinem Leben noch bevorstehen – nämlich zu lernen, dass auch der hilfsbereiteste Mensch nicht immer nur in Gesellschaft von Menschen sein kann, sondern auch einmal auf sich selbst schauen muss.

Ich bin glücklich mit diesem Zirkuswagen, der ein Werkzeug zu meinen inneren Gefühlen ist und der mich zwingt, mich materiell zu reduzieren und ein genüssliches, sinnliches Leben irgendwo zwischen Country-House, Bohème-Dachboden und Omama-Style zu führen. Ich habe diese Erfahrung voll ausgekostet und kann mir vorstellen, mich irgendwann wieder einer WG oder einem Ökodorf-Projekt anzuschließen. Jetzt warten wir aber erst einmal auf einen Deus ex Machina!" (PROTOKOLL: Wojciech Czaja, 27.4.2020)