Im Gastkommentar weist die Historikerin und grüne Nationalratsabgeordnete Eva Blimlinger auf Widersprüche und Ambivalenzen anlässlich des 75. Jubiläums der Zweiten Republik hin.

Allerhand war heuer geplant am 27. April anlässlich des 75-Jahr-Jubiläums der Gründung der Zweiten Republik. Einerseits die üblichen staatspolitischen Zeremonien, Kranzniederlegungen und Selbstvergewisserungen da und dort, andererseits Gedenkveranstaltungen wie etwa jene der NS-Opferverbände Österreichs für die hingerichteten österreichischen Widerstandskämpfer und -kämpferinnen bei der Gedenkstätte am Wiener Zentralfriedhof – Gruppe 40. Die Covid-19-Krise führt dazu, dass es nun nichts Angemessenes geben wird – ja vielleicht eine Fernsehansprache, eine Gedenkrede, sonst nichts.

Auf dem Heldenplatz erinnert eine Installation an Meilensteine der Republik. Festakte zu deren Jubiläum gibt es Corona-bedingt nicht.
Foto: APA / Herbert Neubauer

Warum feiern wir eigentlich in Österreich den 27. April, gibt es da eigentlich etwas zu feiern, angesichts eines Krieges, der erst am 8. Mai zu Ende war. Bereits am 13. April erklärten die Sowjets den Kampf um Wien für beendet. Wien war durch die Rote Armee befreit, die Gefechte beendet, der Zweite Weltkrieg noch nicht.

Karl Renner, der erste Staatskanzler der Ersten und dann auch der Zweiten Republik, bildete mit Zustimmung der Sowjets eine neue österreichische Regierung, sozusagen im Deutschen Reich. SPÖ, ÖVP und KPÖ gründeten sich neu, und schließlich wurde von den drei Parteien und drei parteiunabhängigen Männern am 27. April die Unabhängigkeit Österreichs erklärt, und die neu gebildete provisorische Staatsregierung trat erstmals zusammen.

Braune Pest

Ebenso am 27. April befahl der in Steyr gebürtige Reichsstatthalter von Oberdonau und Gauleiter, August Eigruber, dem Kommandanten des KZ Mauthausen, Franz Xaver Ziereis, per Fernschreiben die Ermordung der als "Welser Gruppe" bekannten 43 Widerstandskämpfer: "Ich ordne an, dass sämtliche Linzer und Welser Kommunisten, die am 7. September 1944 verhaftet wurden, sofort zu liquidieren sind, damit die Alliierten in den Alpengauen keine aufbauwilligen Kräfte vorfinden." Einziger Überlebender war Richard Dietl, der sich im typhusverseuchten Krankenlager des KZ verstecken konnte.

Ein Blick in die Zeitungen zeigt, dass es ein unabhängiges befreites Österreich am 27. April 1945 nicht gegeben hat. In der Ausgabe Neues Österreich vom 27. April wird schon von der "braunen Pest" geschrieben und die erste Burgtheateraufführung Sappho von Franz Grillparzer für den 30. April im Ronacher angekündigt – nur für geladene Gäste.

Die Hauptrolle spielte Maria Eis, die nach dem "Anschluss Österreichs" 1938 nur noch mit einer Sondergenehmigung spielen durfte, da sie mit dem Komponisten und Kapellmeister Robert Fanta verheiratet war – nach den Nürnberger Gesetzen ein Jude. Und dennoch, sie stand auf der sogenannten "Gottbegnadeten-Liste" und zählte zu den "Künstlern im Kriegseinsatz".

In der Oberdonau-Zeitung, der amtlichen Tageszeitung der NSDAP, Gau Oberdonau mit Hakenkreuz und Reichsadler in der Kopfzeile, wird am 27. April dem ebenfalls auf der "Gottbegnadeten-Liste" stehenden Josef Weinheber, der am 8. April Selbstmord begangen hatte, eine Huldigung gewidmet.

Der Nationsgründungsmythos

Dann am 1. Mai, der Krieg ist noch immer nicht zu Ende, wird im ersten Staatsgesetzblatt die Unabhängigkeitserklärung veröffentlicht.

Dort ist grundgelegt, wie Österreich sodann jahrzehntelange den Nationalsozialismus zur Nationsbildung genützt und betrachtet hat. Selbstverständlich mussten Österreicher und Österreicherinnen zu Opfern gemacht werden, wenn da wahrheitswidrig zu lesen ist, dass "die nationalsozialistische Reichsregierung Adolf Hitlers das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt hat, den kein Österreicher jemals gewollt hat, jemals vorauszusehen oder gutzuheißen instand gesetzt war".

Kein Wort von der Beraubung und Vernichtung der Juden und Jüdinnen, der Roma und Sinti, der Homosexuellen und aller anderen religiös, rassisch und politisch Verfolgten. Kein Wort von der Beteiligung der Österreicher wie August Eigruber oder Ernst Kaltenbrunner an der Vernichtung der Juden und Jüdinnen und auch kein Wort über den Widerstand.

Die Moskauer Deklaration, in der darauf hingewiesen wird, dass Österreich einen Beitrag zu seiner Befreiung zu leisten habe, wird zwar erwähnt, aber dann gleich auch das Lamento, dass sich die Staatsregierung "jedoch genötigt sieht, festzustellen, dass dieser Beitrag angesichts der Entkräftung unseres Volkes und Entgüterung unseres Landes zu ihrem Bedauern nur bescheiden sein kann".

Sehr, sehr bescheiden, muss gesagt werden. Während diese Unabhängigkeitserklärung geschrieben wurde, fanden nur 170 Kilometer weit entfernt im KZ Mauthausen die letzte Vergasungsaktion und die vorvorletzte Hinrichtung statt, das alles in der Zweiten Republik.

Was feiern wir also am 27. April? Ja, wir sollten trotzdem am 27. April 2020 den 75. Geburtstag der Republik feiern – und auf all die Widersprüche und Ambivalenzen verweisen und darüber aufklären.

PS: Gewidmet ist dieser Text dem Wehrmachtsdeserteur Richard Wadani, der am 19. April 2020 verstorben ist und der als Mitglied der tschechoslowakischen Exilarmee in Großbritannien zu den Befreiern zählt. Er hat tatsächlich einen Beitrag zur Befreiung geleistet. Danke. (Eva Blimlinger, 24.4.2020)