China liegt bei der Zahl von Erkrankten und Toten zwar längst nicht mehr an der Spitze, aber an den Rechenmethoden gibt es dennoch Zweifel.

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Vor sechs Wochen noch klang die Zahl der Infizierten im Ursprungsland der Pandemie geradezu unglaublich: über 80.000 Infizierte in China. Doch alles ist relativ. Mittlerweile liegt China auf Platz acht der Länder mit den meisten Infizierten: Die USA melden 850.000, selbst die Türkei zählt mehr als China.

Doch Zweifel an den chinesischen Zahlen gibt es seit langem. Erst am Dienstag hatte eine Studie der Universität Hongkong diese nochmals bestätigt. Der im Wissenschaftsmagazin Lancet veröffentlichte Bericht legt nahe, dass die Zahl der Infizierten in China am 20. Februar bereits bei 232.000 lag – das sind rund viermal so viele wie die zu diesem Zeitpunkt offiziell bestätigten Fälle.

Das liegt am Klassifizierungssystem, das die Chinesen benutzen – und das in den vergangenen Wochen insgesamt siebenmal verändert wurde. Würde man die Diagnosekriterien von Anfang Februar auf die Gegenwart anwenden, käme man heute auf eine wesentlich höhere Zahl.

Wechselnde Kriterien

So wurden beispielsweise bis zum 5. Februar nur Infizierte registriert, die sowohl Symptome aufwiesen als auch ein positives Testergebnis. Danach fielen auch Personen, die zwar Symptome aufwiesen, aber nicht getestet worden waren, ins Raster, was zu einem rasanten Anstieg führte. Knapp zwei Wochen später machten die Behörden die Entscheidung wieder rückgängig. Später kamen dann wiederum "asymptomatische Träger" hinzu – Infizierte mit positivem Testergebnis, aber ohne Symptome. Hätte man die Kriterien vom 5. Februar beibehalten, so das Forscherteam, wäre die Zahl der Infizierten viermal so hoch.

Nicht nur an der Zahl der Infizierten gibt es Zweifel, auch die Zahl der Toten ist Thema von Spekulationen. Ende März interviewte das Magazin Caixin Menschen, die auf die Ausgabe einer Urne mit der Asche eines Angehörigen warteten. Dabei fielen Lastwagen auf, die 3.500 Urnen geladen hatten. Als die Reporter einen Fahrer fragten, wie oft er diese Ladung bringe, antwortete dieser: "Zweimal täglich." Acht solcher Institute in Wuhan gibt es. Den offiziellen Zahlen zufolge sind in Wuhan aber nur 2.535 Menschen an Covid-19 gestorben. Eine einfache Kopfrechnung ergibt, dass die tatsächliche Zahl der Toten also um ein Vielfaches höher sein muss. (Philipp Mattheis, 23.4.2020)